„Eigentlich habe ich nur auf eine Gelegenheit für einen Hilfseinsatz im Ausland gewartet“, sagt die Zahnärztin Mahzad Arhami. Doch die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen erschien ihr schlicht zu aufwändig. Zahlreiche Unterlagen hätten beschafft, beglaubigt und eingereicht werden müssen. Dazu sollte man gleich mehrere Wochen Jahresurlaub investieren. Doch dann plante sie einen Trip auf die Philippinen und kam mit ihrer Kollegin, Empfangsleitung Reynalyn Zitzmann, ins Gespräch. Es war ja nur naheliegend, sich Tipps zu holen. Denn Reynalyn hat philippinische Wurzeln. Allerdings zog die Geschichte unvermutete Kreise über Zitzmanns Mutter, deren Freundin und wiederum deren Bruder. Freddie („Toto“) Piers studiert auf den Philippinen Zahnmedizin und organisiert in unregelmäßigen Abständen “Dental Missions” in abgelegenen Gebieten seiner Heimat. Ausweis und Approbationsurkunde reichten als Legitimation. Die Kommunikation erfolgte über den Facebook-Messenger. Also reisten die Kolleginnen nicht nur urlaubsbedingt, sondern in selbst organisierter dentaler Mission auf die Philippinen.
Die Philippinen bestehen aus über 7.500 Inseln, von denen jedoch nur 880 bewohnt und oft recht dünn besiedelt sind. Die beiden Zahnärztinnen landeten in Iloilo auf der Insel Panay, die relativ wenig touristisch erschlossen ist. Mahzad Arhami und Negar Farzadmanesh Fotos mit Wellblechhütten auf Stelzen an einem Strand, der mit Müll und Plastik übersät ist: „Wir haben gelernt, wie gut es uns geht.“
Die beiden Ärztinnen wohnten bei „Toto“ im Gästezimmer mit Familienanschluss: „Es ist schon cool, unter Einheimischen zu leben, Land, Leute und Essen authentisch kennenzulernen.“ Ihr Gastgeber kutschierte sie auch zu ihren Einsatzorten.
Am ersten Tag stiegen sie also in ein Auto und erwarteten, an einem „Gym“ anzukommen. Dies entpuppte sich als ein wellblech-überdachtes Basketball-Feld, Bestandteil eines Community Centers. Hier waren einige Plastikstühle für die Patienten aufgestellt.
„Als Dank für unsere Arbeit organisierten die Gemeinden das Mittagessen im Gemeindehaus“, berichtet Farzadmanesh. Instrumente hatte der Zahnmedizin-Student über Sponsoren beschafft. Anästhetikum, Handschuhe, Mundschutz, Tupfer und Tücher wurden von AllDent, dem Arbeitgeber von Arhami und Farzadmanesh, zur Verfügung gestellt.
Neben den deutschen Ärztinnen und einigen fortgeschrittenen Zahnmedizin-Studenten beteiligten sich auch lokale Zahnärzte an der ehrenamtlichen “Dental Mission”. Eine Krankenschwester maß zwischendurch Blutdruck. „Am ersten Tag gab es sogar noch ein mobiles Gerät zur Zahnsteinentfernung“, erinnert sich Arhami.
Allerdings lautete ihre vorgegebene Aufgabe ausschließlich Zähneziehen; Widrigkeiten inklusive. Denn ohne Elektrizität funktioniert schließlich auch kein Sauger. Was also tun, wenn beim Extrahieren Blut kommt? Nach einem ersten Schreckmoment gewöhnte man sich an die pragmatische Lösung: „Tupfen und wenn es zu viel wird, müssen die Patienten eben ausspucken.“ Dafür standen neben den Plastikstühlen sandgefüllte Müllsäcke. Heruntergefallene Zähne wurden am Ende des Tages vom Spielfeld gekehrt.
„Irgendwie haben die Einheimischen eine Reihenfolge mit Nummer ziehen und Warteliste organisiert“, sagt die Zahnärztin. „Und die Patienten waren total tapfer. Wir mussten oft sprichwörtlich ´schlachten´. Danach haben die Leute noch gelacht und sich bedankt“, ergänzt die Kollegin.
Teilweise mussten mehrere Zähne gezogen werden, manchmal quadrantenweise, egal ob bei Kindern, Jugendlichen oder älteren Personen. Entfernt wurden Wurzelreste, frakturierte, wackelige und hochkariöse Zähne. Mundhygiene und Prophylaxe sind durchgängig schlecht. Nahezu niemand trägt Prothesen. Es gibt zwar eine Krankenversicherung, aber vieles muss selbst bezahlt werden. Füllungen werden größtenteils wegen der Kosten nicht gemacht. Zähne ziehen ist billiger. Mahzad Arhami: „Wir haben die Leute regelrecht befreit.“
Anfangs dachten die Zahnärztinnen, vier Stunden täglicher Arbeit wären quasi ein Spaziergang. Doch sie erlebten es als körperlich extrem anstrengend. Bereits nach dem ersten Patienten waren die Medizinerinnen schweißgebadet, sodass sie kaum mehr in ihre Handschuhe kamen. Neben der Hitze bei extrem hoher Luftfeuchtigkeit schlauchten bald Rückenschmerzen wegen der Arbeit im Stehen mit den Stirnlampen. „Unsere paar Einsatztage waren grenzwertig. Am zweiten Tag brauchten wir schon eine Massage“, sagt Negar Farzadmanesh.
Insgesamt 80 bis 95 Patienten wurden täglich behandelt, in den vier Tagen der Aktion rund 300. Die Arbeit an sich erfuhren die Ärztinnen als sehr befriedigend: „Die Patienten waren extrem dankbar und respektvoll.“ Hierzulande werde der Arzt dagegen oftmals nur noch als Dienstleister betrachtet: „Aber nach so einem Einsatz kann dich eigentlich nichts mehr aus der Bahn werfen.“
Der Kulturschock traf die Medizinerinnen bei der Heimreise und der Zwischenlandung in Dubai mit Gucci-, Prada- und Chanel-Boutiquen am Flughafen: „Man wird nachdenklich und dankbarer.“
Zu den Personen:
Mahzad Arhami studierte Zahnmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Anschluss war sie mehrere Jahre in einer Zahnarztpraxis in der Nähe von Düsseldorf tätig. Dort vertiefte sie ihre Kenntnisse in allen Bereichen der Zahnmedizin insbesondere der prothetischen und ästhetischen Zahnheilkunde. Seit Mitte 2015 arbeitet sie im AllDent Zahnzentrum München II und hat sich auf Endodontie spezialisiert.
Negar Farzadmanesh absolvierte 2017 erfolgreich das Studium der Zahnmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach ihrer Approbation sammelte sie in Praxen in München und Starnberg Erfahrungen in allen Bereichen der Zahnmedizin. Mit großem Engagement erweitert sie ihr Wissen durch stetige Fortbildungen. Seit 2019 unterstützt sie das Praxisteam im AllDent Zahnzentrum München I.