Bakterien: Die ältesten Lebewesen der Erde
Bakterien sind die ältesten Lebewesen unseres Planeten und weisen eine beeindruckende Geschichte von mehr als 3,4 Milliarden Jahren auf.1 Mit dem ersten Erscheinen von mehrzelligen Organismen konnten Bakterien neu entstandene Lebensräume im Inneren dieser Organismen nutzen. Die Bakterien bekamen Schutz und ausreichend Nährstoffe und der Wirtsorganismus profitierte wiederum von Stoffwechselprodukten der Bakterien. Nach diesem Prinzip entwickelte sich über Millionen von Jahren ebenfalls eine symbiotische Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Mikrobenwelt.2
Die Allianz von Mensch und Mikrobe
Der menschliche Körper bildet gemeinsam mit seinen Mikroben einen Superorganismus, der als Holobiont bezeichnet wird.3 Die Gesamtheit aller Kleinstlebewesen (Bakterien, Archaeen, Pilze) in einer bestimmten Umgebung wird als Mikrobiota bezeichnet, wo hingegen das Mikrobiom die genetische Information der Mikrobiota darstellt.4 Faktisch jede ökologische Nische unseres Körpers beherbergt eine spezifische Mikrobiota, die eine wichtige Rolle in unserer Physiologie und auch unserer Gesundheit spielt. Alleine im Zeitraum von 2013 bis 2017 wurden zu diesem Wissensgebiet nahezu 13.000 Studien veröffentlicht. Diese immense Anzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen unterstreicht die enorme Bedeutung der Mikrobengesellschaft für unseren Körper.5
Aufbau der oralen Mikrobiota
Die Mundhöhle bietet ein komplexes Umfeld, das unterschiedliche mikrobielle Lebensräume, wie Zähne, Mundschleimhaut, Gaumen, Zunge etc., umfasst. Diese Kleinstkompartimente beherbergen einzigartige und sehr artenreiche Ökosysteme.6 Leider wurde diesem wichtigen Bereich unseres Körpers über viele Jahre hinweg zu wenig Beachtung geschenkt, dabei weist der Mund nach dem Darm die zweithöchste Besiedlungsdichte des Körpers mit Mikroorganismen auf.7
Da die Probenentnahme aus der Mundhöhle sehr einfach durchzuführen ist, gilt die Mundmikrobiota mittlerweile als die am besten untersuchte mikrobielle Gesellschaft des Körpers.8 In den vergangenen Jahren hat sich die Wissenschaft in hohem Maße auf die Erforschung der Mundhöhle fokussiert und dabei Erstaunliches herausgefunden.
Bisher wurden bereits über 700 Arten von Prokaryonten identifiziert. Von diesen Arten sind etwa 54 % offiziell benannt, 14 % unbenannt, jedoch kultiviert und 32 % nur als nicht kultivierte Phylotypen identifiziert. Die Zusammensetzung dieser Bakterienbesiedlung spielt eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung einer normalen oralen physiologischen Umgebung und ist eng mit der Gesundheit unseres gesamten Körpers verbunden.9
Aufgaben der oralen Mikrobiota
Die orale Mikrobiota liegt üblicherweise in Form eines Biofilms organisiert vor. Diese oralen Biofilme bestehen überwiegend aus einer extrazellulären Matrix, die aus Wasser und Polysacchariden zusammengesetzt ist. In dieser Matrix können sich Bakterien vielschichtig anhäufen und organisieren.10 Die Vorteile dieser bakteriellen Organisation in einem Biofilm sind immens, denn sie schützen sich gegenseitig vor konkurrierenden Mikroorganismen und widrigen Umweltfaktoren wie etwa den Abwehrmechanismen des menschlichen Immunsystems. Aber auch vor toxischen Substanzen wie Chemikalien oder Antibiotika bieten sie Schutz. Biofilme erleichtern darüber hinaus die Verarbeitung und Aufnahme von Nährstoffen und die gegenseitige Zufuhr und Entfernung potenziell schädlicher Stoffwechselprodukte.11 Zusätzlich findet in dieser Matrix eine faszinierende Art der bakteriellen Kommunikation statt, denn über das sogenannte Quorum Sensing kommunizieren Bakterien miteinander und koordinieren ihr Verhalten. Viele Krankheiten von Menschen, Pflanzen und Tieren werden durch diese bakterielle Kommunikation vermittelt.12
Die mikrobielle Gemeinschaft der menschlichen Mundhöhle spielt eine wichtige Rolle bei physiologischen, metabolischen und immunologischen Funktionen. Sie unterstützt die Verdauung von Nahrungsmitteln und kontrolliert die Stoffwechselregulation. Zusätzlich helfen unsere kommensalen Bakterien bei der Differenzierung und Reifung der Schleimhautzellen und der Aufrechterhaltung der physikalischen Barrierefunktion. Indem ein Gleichgewicht zwischen entzündungsfördernden und entzündungshemmenden Prozessen erhalten wird und zusätzlich Umweltchemikalien entgiftet werden, kann das lokale Immunsystem positiv unterstützt werden.
Zu guter Letzt fördert eine ausgeglichene Mundmikrobiota die Kolonisationsresistenz und verhindert so die Invasion von pathogenen Erregern und die Entstehung von Krankheiten wie etwa Parodontitis, Gingivitis und Karies.7
Entwicklung der oralen Mikrobenwelt
Während das ungeborene Kind im Mutterleib noch nahezu steril ist, kommt es während des Geburtsvorgangs mit der Mikroflora des Uterus und der Vagina der Mutter (und später mit den Mikroorganis men der Geburtsumgebung) in Kontakt. Erst durch das Füttern im Anschluss an die Geburt kommt die Mundhöhle des Neugeborenen in regelmäßigen Kontakt mit Mikroorganismen. Ab jetzt beginnt die Etablierung einer in sich stabilen oralen Mikrobiota.8
Die Entwicklung der oralen Mikrobiota und ihre Stabilität oder aber auch Instabilität hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab. Bereits die Art der Geburt kann nach drei Monaten eine messbare Auswirkung auf die Zusammensetzung der oralen Mikrobiota zeigen. Säuglinge, die durch eine vaginale Entbindung geboren werden, weisen eine höhere orale mikrobielle Vielfalt auf als Säuglinge, die durch einen Kaiserschnitt auf die Welt kamen.13 Nachdem die Mundmikrobiota im Kindesalter herangereift ist, bleibt die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaft anschließend bemerkenswert konstant. Studien haben gezeigt, dass sich eine Kernmikrobiota bildet, die sogar über 7 Jahre stabil bleibt.14 Bei gesunden Erwachsenen gehört die Mehrzahl der Arten zu den BakterienPhyla Firmicutes, Pro- teobakterien, Actinobakterien, Bacteroidetes und Fusobakterien.15
Biologische Veränderungen im Leben eines Menschen, wie etwa hormonelle Veränderungen während Pubertät und Schwangerschaft, aber auch der Alterungsprozess des Körpers, können das Gleichgewicht der Bakterienarten in dieser Gemeinschaft beeinflussen. Der Mensch kann sich jedoch ohne Beeinträchtigungen der Mundgesundheit an diese mikrobiellen Veränderungen anpassen.7
Störungen des oralen Ökosystems
Das komplexe Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Bakterienarten in der Mundhöhle kann einerseits für die Aufrechterhaltung eines gesunden Zustandes verantwortlich sein, andererseits aber auch durch eine bakterielle Dysbiose verschiedene Krankheits zustände auslösen. Eine Dysbiose der Mundmikrobiota bringt das fein abgestimmte Gleichgewicht des oralen Ökosystems durcheinander und stört so die Bakteriengemeinschaft im Mundraum. Aus löser einer solchen Dysbiose können verschiedene Faktoren sein, etwa eine unausgewogene Ernährung, Zigarettenkonsum, die Einnahme bestimmter Medikamente, Speicheldrüsenfunktionsstörungen oder auch unbeeinflussbare genetische Faktoren. In der Folge können sich krankheitsfördernde Bakterien festsetzen und orale Erkrankungen wie Karies, Gingivitis und Parodontitis auslösen.16
Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass Bakterien, die früher als orale Erreger angesehen wurden, auch an gesunden Stellen im Mund in geringer Zahl gefunden werden können. Eine orale Erkrankung tritt erst als Folge einer schädlichen Veränderung des natürlichen Gleichgewichts der Mikrobiota auf und wird nicht durch eine Infektion von außen hervorgerufen. Bei einer Dysbiose können diese pathogenen Bakterien deutlich stärker wachsen als unter gesunden Bedingungen, wo sie normalerweise geringfügige und harmlose Bestandteile im Biofilm sind.17
Für Therapeuten und Patienten ist es daher gleichermaßen wichtig, eine ausgewogene Mikrobiota zu fördern, um die Mundgesundheit wirksam aufrechtzuerhalten oder gegebenenfalls wiederherzustellen. Die Umstellung auf eine ballaststoffreiche Ernährung ist für die ses Ziel ein guter erster Ansatz und auch die Einnahme von Probiotika wird als sinnvolle, das Therapieziel unterstützende Maßnahme empfohlen.
Orale Erkrankungen
Zu den häufigsten oralen Erkrankungen zählen Zahnkaries, Gingivitis (Zahnfleischentzündung), Parodontitis (Entzündungen des Zahnhalteapparates), Periimplantitis und Entzündungen der Mundschleimhaut wie Lichen planus oder Leukoplakie. Zahnkaries ist eine multifaktorielle Erkrankung und wird durch eine Wechselwirkung zwischen dem Menschen und kariesauslösenden Mundbakterien sowie einer kariogenen Ernährung ausgelöst. Zu den wichtigsten kariogenen Bakterien zählen Streptococcus mutans und Streptococcus sobrinus. Durch neueste molekulare Analysemethoden konnte das Spektrum der kariogenen Bakterien sukzessive erweitert werden.18
Medizinische Relevanz von Antibiotika
Seit ihrer ersten Entdeckung im frühen 20. Jahrhundert konnten mit Antibiotika viele bakterielle Infektionen erfolgreich bekämpft werden. Dieses einst so scharfe Schwert wird zunehmend stumpf, denn Antibiotikaresistenzen breiten sich rasant aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jährlich bis zu 700.000 Menschen aufgrund von unwirksamen antibiotischen Substanzen sterben. Ihre Zahl soll bis zum Jahr 2050 sogar auf 10 Millionen steigen.19 Es gibt verschiedene Ursachen für diese Entwicklung, hauptsächlich zu nennen ist jedoch die unkritische Verwendung dieser wichtigen Medikamente in der humanen Medizin und vor allem in der Tierzucht.
Hinzu kommt die schleppende Entwicklung neuer antibiotischer Wirkstoffe. Der größte Teil der heutzutage eingesetzten Antibiotika-Klassen wurde bereits in den Jahren zwischen 1940 und 1960 entwickelt.20 Obwohl die Entwicklung neuer antibiotischer Substanzen dringend notwendig ist, ziehen sich laut aktueller NDRRecherche (September 2019) immer mehr Pharmahersteller aus der Entwicklung neuer Antibiotika zurück, da dieses Geschäftsfeld nicht profitabel genug ist.21
Probiotische Therapiemöglichkeit
Es gibt aber auch große Hoffnungen auf diesem Gebiet, denn Forscher forcieren zurzeit die Entwicklung neuer Biotherapeutika, um dem Problem der Antibiotikaresistenzen erfolgreich entgegenzu treten. Probiotika sind aktuell der wichtigste Eckpfeiler dieser Forschungsbemühungen. Probiotische Wirkungen auf die menschliche Gesundheit sind seit vielen Jahren wissenschaftlich belegt. Forschungsergebnisse zeigen, dass probiotische Bakterienkulturen zur Vorbeugung und Behandlung von Antibiotikaassoziierten Durchfallinfektionen und weiteren Magen-Darm-Erkrankungen hilfreich sind.22
Probiotika für den gesunden Mundraum
Auch im dentalen Bereich sind die Einsatzmöglichkeiten und das Potenzial für Probiotika groß. Studien zeigen, dass Lactobazillen und Bifidobakterien in großer Menge in der Muttermilch zu finden sind und somit zu den ersten Bakterien gehören, die den Mundraum des Neugeborenen besiedeln.23, 24 Probiotische Bakterien, wie etwa Lactobacillus salivarius oder Bifidobacterium lactis wirken pathogenen Erregern entgegen und verhindern deren Anheftung an die Mundschleimhaut. Hierdurch können bakterielle Auslöser von Entzündungen im Mundbereich sowie Karieserreger erfolgreich bekämpft werden.25
12 Bakterienstämme, die bevorzugt in der Mundhöhle auftreten 8 | |
Firmicutes | Fusobacteria |
Actinobacteria | Bacteroidetes |
Chloroflexi | Spirochaetes |
Synergistetes | Proteobacteria |
Chlamydiae | SR1 |
Saccharibacteria (TM7) | Gracilibacteria (GN02) |
Resümee
Noch bis vor kurzer Zeit lag der Fokus zahnärztlicher Behandlungen in der rigorosen Bekämpfung sämtlicher Bakterien im Mundraum. Dies hatte zur Folge, dass der Gebrauch von Antibiotika entsprechend hoch war und unspezifische Antibiotika-Kombinationen mit möglichst breitem Wirkspektrum eingesetzt wurden.26, 27
Erfreulicherweise kann man seit einigen Jahren jedoch ein Umdenken beobachten. Mittlerweile wurde erkannt, dass eine gezielte Förderung der gesunden oralen Mikrobiota wichtig ist, um die Behandlung optimal zu unterstützen und Erkrankungen des Mundraumes dauerhaft wirksam zu bekämpfen.