Patientenorientierte Behandlung im Praxisalltag + Abrechnungsempfehlung

Dr. Georg Taffet
Dr. Georg Taffet & Jana Brandt

Bevor mit einer Restauration begonnen werden kann, sollten zunächst die gesamte Mundhöhle des Patienten und alle zum System gehörenden Strukturen und Gewebe genau untersucht werden. Es ist unsere zahnärztliche Pflicht, uns über die Langzeitprognosen aller Zähne Gedanken zu machen, auf die Gesundheit der umgebenden Gewebe zu achten und eine möglichst optimale statische sowie dynamische Okklusion/Funktion mit Front-/Eckzahnführung anzustreben.

Abb. 21) Abschließendes OPG

Diese Patientin suchte unsere Praxis auf, weil sie mit der Ästhe­tik ihrer Frontzähne nicht mehr zufrieden war: ,Irgendwie sieht das alles komisch aus, Herr Doktor. Meine Zähne sind so dünn geworden und bröseln.” Die Abbildungen 1 bis 3 zeigen die Situation intraoral. Auf Anhieb erkennbar ist eine progene Ver­zahnung an der Front mit Kreuzbiss regio 12/43 und 23/33. Der Seitenzahnbereich ist normal verzahnt. Auffällig sind die vielen zervikalen Restaurationen die auf eine zumindest phasenweise mäßige Mundhygiene schließen lassen.

Die extraorale Untersuchung ergab weitere zahn- und zahn­stellungsbedingte ästhetische Probleme: eine eingefallene Oberlippe mit einem reduzierten Lippenrot (Abb. 4 und 5). Das OPG (Abb. 6) lieferte folgenden Befund: Die Patientin leidet an einer chronischen adulten Parodontitis mit einem altersgemäß mäßigen horizontalen Parodontalabbau. Zahn 24 ist mit einem unhomogenen, nicht wandständigen Material gefüllt, der Perio­dontalspalt ist erweitert. Der Brückenpfeiler 45 ist dicht gefüllt, weist aber eine apikale Aufhellung auf.  Die Einzelaufnahme an 25 und das DVT an 45 bestätigen die Befunde auf  dem  OPG (Abb. 7 und 8). Auffällig auf dem DVT ist auch der relativ hoch und vestibulär der Wurzel verlaufende Alveolariskanal.

Therapieplanung

Die primär wegen ihrer ästhetischen Unzufriedenheit gekom­mene Patientin wurde nach der Befunderhebung umfassend darüber informiert, dass eine begrenzte Versorgung der OK­ Front zahnmedizinisch wenig Sinn macht. In Anbetracht der Situation der restlichen Zähne und der funktionellen Proble­matik würde die Behandlung zwar die Ästhetik vorübergehend verbessern, hätte aber wohl nicht lange Bestand, weil die Ursache für die bestehende Problematik nicht behoben wäre. Des Weiteren wäre in den kommenden Jahren Ärger vorpro­grammiert, weil bei kritischer Betrachtung viele insuffiziente Ver­sorgungen vorhanden waren. Eine sinnvolle, zahnmedizinisch korrekte Behandlung mit einem prognostisch langjährig güns­tigen, funktionellen und ästhetischen Ergebnis würde vielmehr wie folgt aussehen:

  • professionelle Zahnreinigung, Instruktion zur Verbesserung der häuslichen Mundhygiene
  • Parodontitisbehandlung
  • Revision der Wurzelfüllung an 25
  • instrumentelle Funktionsanalyse und eventuell diagnostisches Wax­up
  • Extraktion 45 mit Sofortimplantation, Bone­Splitt im schmalen Kieferkamm Regio 46 und Implantation
  • Komplettrestauration entsprechend der Ergebnisse der Funk­ tionsanalyse und der daraus resultierenden Planung

Behandlungsablauf

Nach ein paar Tagen Überlegung zeigte sich die Patientin überzeugt und wir konnten wie vorgeschlagen anfangen. Ihre Motivation und Mitarbeit waren hervorragend, die Ergebnisse der Parodontitisbehandlung dementsprechend gut. Ebenfalls problemlos verlief die Revision der insuffizienten Wurzelfüllung an Zahn 25, die Periodontalspalt­-Erweiterung war sechs Monate später verheilt. Die instrumentelle Funktionsanalyse ergab, dass sich die Zentrik der Patientin in einer im Vergleich zur habituellen Okklusion retralen Position befindet. Die Front ist in Zentrik auf Kopfbiss (Abb. 9). Das bedeutet, dass wir die endgültige Versor­gung in einer regelrechten psalidodonten Verzahnung herstellen konnten.

Auch die sorgfältige Extraktion von 45 erfolgte relativ problem­los. Das Granulationsgewebe wurde sorgfältig ausgeschabt, die Alveole mit einem großen chirurgischen Rosenbohrer bei gerin­ger Drehzahl und reichlich Spülung mit NaCl Iso angefrischt. Ausgehend von der Alveole wurde ein crestaler Schleimhaut­ schnitt im Bereich des Kieferkammes 46 angelegt. Mit einer Trennscheibe und chirurgischen Fissurenbohrern wurde anschlie­ßend der schmale Knochen parallel zur vestibulären Kompakta, der Kieferkamm mit Hilfe von Meißeln gesplittet und erwei­tert. Wichtig: Die Schleimhaut wurde dabei nicht abgeklappt, um eine traumatische Knochenresorption in diesem Gebiet zu verhindern. Würde die dünne, kompakte Knochenlammelle frakturieren, würde sie verloren gehen. Verzichtet man auf das Abklappen der Schleimhaut, bleibt die Knochenlammelle vasku­lär gestielt und heilt problemlos über Kalusbildung, wie in die­sem Patientenfall auch passiert.

Das entsprechend dem Alveolendurchmesser ausgesuchte Im­plantat mit 4,8 mm Durchmesser konnte primärstabil befestigt werden. Für den Split bevorzugen wir konische Implantate (Den­tal Ratio Conical 0 4,1 mm), weil diese den Splitt beim Herein­drehen des Implantates weiter öffnen. Der Splittspalt und der nicht kongruente Bereich der Alveole von 45 wurden mit Geist­lich BioOss Knochenregenerationsmaterial dicht gefüllt (Abb. 10 bis 12). Der Splitbereich wurde mit einer zugeschnittenen BioGide Collagenmembran gedeckt und vernäht. Auf den Ver­schluss der Wundränder wurde verzichtet. Das wäre auch nicht möglich gewesen, weil die Schleimhaut ja nach wie vor am Kno­chen fixiert ist, also nicht verschoben werden kann. Vielmehr wurde eine Heilung im Sinne des „Open Healing” (Taffet) ange­strebt, bei welcher nur die Membran die Wunde im Spaltbereich und über der Alveolenöffnung verschließt (Abb. 13).

Eine Woche später heilte die Wunde unauffällig, die Patientin war nahezu schmerzfrei, es gab keine Schwellung. Die Schleim­ haut granulierte spontan über die sich langsam auflösende Kol­lagenmembran. Das DVT zeigte die korrekte lmplantatlage regio 45 und 46 bei optimaler Nutzung des vorhandenen Knochen­angebotes (Abb. 14).

Prothetische Versorgung

Ein halbes Jahr später erfolgte die Präparation des Ober- und Unterkiefers (Abb . 15). Die Implantate wurden gemäß „ Bio­logische Breite Protokoll” (Taffet) mit Massivabutments ver­sorgt, präpariert und mit den restlichen Zähnen abgeformt. Die Modelle wurden schädelbezüglich in Zentrik einartikuliert. Unser zahntechnisches Labor hat die Kronen in Zirkon gefräst und dabei auf eine funktionell korrekte Okklusion mit Spee­ und Wilson’scher Kurve, mit Front-/Eckzahnführung geachtet. An Zahn 17 haben wir uns gemeinsam mit der Patientin aus Gründen des Substanzerhalts für eine klassische Gold-Teil­ krone entschieden.

Ebenfalls von Bedeutung war die optimale Reinigungsfähigkeit der Versorgung: Konkave Flächen im approximalen und mukkosalen Bereich sind unerwünscht. Die Brückenglieder 14, 16 und 36 sind konvex als Pontic gestaltet. Zahnseide und lnterdentalreinigungsinstrumente sollten deshalb überall leich­ten Zugang finden.

Fazit

Das Ergebnis erfüllt die ästhetischen Erwartungen der Patientin und ist funktionell richtig. Die Lippen werden abgestützt, ihr Profil ist ansprechender, das Lippenrot korrekt, die Lachlinie stimmt, die Langzeitprognose hervorragend (Abb. 16 bis 21). Nach 18 Monaten systematischer konsequenter Behandlung ist es gelungen, alle Beteiligten zufrieden zu stellen. Trotz aller Trends hin zur Spezialisierung und Digitalisierung sollten wir Zahnärzte und Zahnärztinnen eines nicht vergessen: Die lmplantologie, Endodontologie, ästhetische Zahnheilkunde und alle weiteren Gebiete der modernen Zahnmedizin sind nur Mittel und Weg, Werkzeuge, um unseren Patienten eine bes­sere Lebensqualität zu ermöglichen, um ihnen möglichst die verlorene Gesundheit und die Integrität ihres stomathognathen Systems wiederherzustellen. Das ist uns in diesem Fall gelungen.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinem gesamten Praxisteam und langjährigen zahn­ technischen Partner, ZTM Thomas Biberle in Stockach, ohne die solche Versorgungen nicht möglich wären.

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