Diese Patientin suchte unsere Praxis auf, weil sie mit der Ästhetik ihrer Frontzähne nicht mehr zufrieden war: ,Irgendwie sieht das alles komisch aus, Herr Doktor. Meine Zähne sind so dünn geworden und bröseln.” Die Abbildungen 1 bis 3 zeigen die Situation intraoral. Auf Anhieb erkennbar ist eine progene Verzahnung an der Front mit Kreuzbiss regio 12/43 und 23/33. Der Seitenzahnbereich ist normal verzahnt. Auffällig sind die vielen zervikalen Restaurationen die auf eine zumindest phasenweise mäßige Mundhygiene schließen lassen.
Die extraorale Untersuchung ergab weitere zahn- und zahnstellungsbedingte ästhetische Probleme: eine eingefallene Oberlippe mit einem reduzierten Lippenrot (Abb. 4 und 5). Das OPG (Abb. 6) lieferte folgenden Befund: Die Patientin leidet an einer chronischen adulten Parodontitis mit einem altersgemäß mäßigen horizontalen Parodontalabbau. Zahn 24 ist mit einem unhomogenen, nicht wandständigen Material gefüllt, der Periodontalspalt ist erweitert. Der Brückenpfeiler 45 ist dicht gefüllt, weist aber eine apikale Aufhellung auf. Die Einzelaufnahme an 25 und das DVT an 45 bestätigen die Befunde auf dem OPG (Abb. 7 und 8). Auffällig auf dem DVT ist auch der relativ hoch und vestibulär der Wurzel verlaufende Alveolariskanal.
Therapieplanung
Die primär wegen ihrer ästhetischen Unzufriedenheit gekommene Patientin wurde nach der Befunderhebung umfassend darüber informiert, dass eine begrenzte Versorgung der OK Front zahnmedizinisch wenig Sinn macht. In Anbetracht der Situation der restlichen Zähne und der funktionellen Problematik würde die Behandlung zwar die Ästhetik vorübergehend verbessern, hätte aber wohl nicht lange Bestand, weil die Ursache für die bestehende Problematik nicht behoben wäre. Des Weiteren wäre in den kommenden Jahren Ärger vorprogrammiert, weil bei kritischer Betrachtung viele insuffiziente Versorgungen vorhanden waren. Eine sinnvolle, zahnmedizinisch korrekte Behandlung mit einem prognostisch langjährig günstigen, funktionellen und ästhetischen Ergebnis würde vielmehr wie folgt aussehen:
- professionelle Zahnreinigung, Instruktion zur Verbesserung der häuslichen Mundhygiene
- Parodontitisbehandlung
- Revision der Wurzelfüllung an 25
- instrumentelle Funktionsanalyse und eventuell diagnostisches Waxup
- Extraktion 45 mit Sofortimplantation, BoneSplitt im schmalen Kieferkamm Regio 46 und Implantation
- Komplettrestauration entsprechend der Ergebnisse der Funk tionsanalyse und der daraus resultierenden Planung
Behandlungsablauf
Nach ein paar Tagen Überlegung zeigte sich die Patientin überzeugt und wir konnten wie vorgeschlagen anfangen. Ihre Motivation und Mitarbeit waren hervorragend, die Ergebnisse der Parodontitisbehandlung dementsprechend gut. Ebenfalls problemlos verlief die Revision der insuffizienten Wurzelfüllung an Zahn 25, die Periodontalspalt-Erweiterung war sechs Monate später verheilt. Die instrumentelle Funktionsanalyse ergab, dass sich die Zentrik der Patientin in einer im Vergleich zur habituellen Okklusion retralen Position befindet. Die Front ist in Zentrik auf Kopfbiss (Abb. 9). Das bedeutet, dass wir die endgültige Versorgung in einer regelrechten psalidodonten Verzahnung herstellen konnten.
Auch die sorgfältige Extraktion von 45 erfolgte relativ problemlos. Das Granulationsgewebe wurde sorgfältig ausgeschabt, die Alveole mit einem großen chirurgischen Rosenbohrer bei geringer Drehzahl und reichlich Spülung mit NaCl Iso angefrischt. Ausgehend von der Alveole wurde ein crestaler Schleimhaut schnitt im Bereich des Kieferkammes 46 angelegt. Mit einer Trennscheibe und chirurgischen Fissurenbohrern wurde anschließend der schmale Knochen parallel zur vestibulären Kompakta, der Kieferkamm mit Hilfe von Meißeln gesplittet und erweitert. Wichtig: Die Schleimhaut wurde dabei nicht abgeklappt, um eine traumatische Knochenresorption in diesem Gebiet zu verhindern. Würde die dünne, kompakte Knochenlammelle frakturieren, würde sie verloren gehen. Verzichtet man auf das Abklappen der Schleimhaut, bleibt die Knochenlammelle vaskulär gestielt und heilt problemlos über Kalusbildung, wie in diesem Patientenfall auch passiert.
Das entsprechend dem Alveolendurchmesser ausgesuchte Implantat mit 4,8 mm Durchmesser konnte primärstabil befestigt werden. Für den Split bevorzugen wir konische Implantate (Dental Ratio Conical 0 4,1 mm), weil diese den Splitt beim Hereindrehen des Implantates weiter öffnen. Der Splittspalt und der nicht kongruente Bereich der Alveole von 45 wurden mit Geistlich BioOss Knochenregenerationsmaterial dicht gefüllt (Abb. 10 bis 12). Der Splitbereich wurde mit einer zugeschnittenen BioGide Collagenmembran gedeckt und vernäht. Auf den Verschluss der Wundränder wurde verzichtet. Das wäre auch nicht möglich gewesen, weil die Schleimhaut ja nach wie vor am Knochen fixiert ist, also nicht verschoben werden kann. Vielmehr wurde eine Heilung im Sinne des „Open Healing” (Taffet) angestrebt, bei welcher nur die Membran die Wunde im Spaltbereich und über der Alveolenöffnung verschließt (Abb. 13).
Eine Woche später heilte die Wunde unauffällig, die Patientin war nahezu schmerzfrei, es gab keine Schwellung. Die Schleim haut granulierte spontan über die sich langsam auflösende Kollagenmembran. Das DVT zeigte die korrekte lmplantatlage regio 45 und 46 bei optimaler Nutzung des vorhandenen Knochenangebotes (Abb. 14).
Prothetische Versorgung
Ein halbes Jahr später erfolgte die Präparation des Ober- und Unterkiefers (Abb . 15). Die Implantate wurden gemäß „ Biologische Breite Protokoll” (Taffet) mit Massivabutments versorgt, präpariert und mit den restlichen Zähnen abgeformt. Die Modelle wurden schädelbezüglich in Zentrik einartikuliert. Unser zahntechnisches Labor hat die Kronen in Zirkon gefräst und dabei auf eine funktionell korrekte Okklusion mit Spee und Wilson’scher Kurve, mit Front-/Eckzahnführung geachtet. An Zahn 17 haben wir uns gemeinsam mit der Patientin aus Gründen des Substanzerhalts für eine klassische Gold-Teil krone entschieden.
Ebenfalls von Bedeutung war die optimale Reinigungsfähigkeit der Versorgung: Konkave Flächen im approximalen und mukkosalen Bereich sind unerwünscht. Die Brückenglieder 14, 16 und 36 sind konvex als Pontic gestaltet. Zahnseide und lnterdentalreinigungsinstrumente sollten deshalb überall leichten Zugang finden.
Fazit
Das Ergebnis erfüllt die ästhetischen Erwartungen der Patientin und ist funktionell richtig. Die Lippen werden abgestützt, ihr Profil ist ansprechender, das Lippenrot korrekt, die Lachlinie stimmt, die Langzeitprognose hervorragend (Abb. 16 bis 21). Nach 18 Monaten systematischer konsequenter Behandlung ist es gelungen, alle Beteiligten zufrieden zu stellen. Trotz aller Trends hin zur Spezialisierung und Digitalisierung sollten wir Zahnärzte und Zahnärztinnen eines nicht vergessen: Die lmplantologie, Endodontologie, ästhetische Zahnheilkunde und alle weiteren Gebiete der modernen Zahnmedizin sind nur Mittel und Weg, Werkzeuge, um unseren Patienten eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen, um ihnen möglichst die verlorene Gesundheit und die Integrität ihres stomathognathen Systems wiederherzustellen. Das ist uns in diesem Fall gelungen.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinem gesamten Praxisteam und langjährigen zahn technischen Partner, ZTM Thomas Biberle in Stockach, ohne die solche Versorgungen nicht möglich wären.