Die demografische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zeigt einen eindeutigen Trend: der Anteil von älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung nimmt kontinuierlich zu. Kamen im Jahr 2010 noch 33 Senioren auf 100 Erwachsene, werden es im Jahr 2030 schon 45 sein (1). Dies bleibt nicht ohne Folgen für den praktisch tätigen Zahnarzt, denn dadurch wird die Anzahl an älteren Menschen in der Zahnarztpraxis in den nächsten Jahren stetig ansteigen. Somit wird die Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse dieser Patienten im Rahmen einer Parodontaltherapie immer wichtiger.
In jedem Lebensalter ist die Grundvoraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Behandlung von Parodontalerkrankungen eine kausal orientierte und individuelle Therapie. Als zentrale Ursache für parodontale Entzündungen gilt das Vorhandensein parodontopathogener Bakterien, sogenannter Markerkeime. Zusätzlich dazu beeinflussen aber auch weitere Faktoren den Verlauf der Erkrankung sowie das Ausmaß der Zerstörung des Zahnhalteapparates. Neben genetischen Prädispositionen spielen exogene Risikofaktoren wie schlechte Mundhygiene, Allgemeinerkrankungen (vor allem Diabetes mellitus) und sich auf die Mundgesundheit auswirkende Medikationen eine maßgebliche Rolle. Je mehr dieser Faktoren zusätzlich zu den Bakterien vorliegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Erkrankung etabliert oder einen schwerwiegenden Verlauf nimmt. Ist das Immunsystem des Patienten nicht in der Lage, die Summe aller Risikofaktoren zu kompensieren, kann sich eine Parodontalerkrankung etablieren (2, 3). Da insbesondere ältere Menschen eine nachlassende Immunkompetenz, bei gleichzeitig steigender Prävalenz prädisponierender Allgemeinerkrankungen und eine damit einhergehende Multimedikation aufweisen, ist zusätzlich zur Bestimmung der ursächlich verantwortlichen Bakterien eine umfassende Anamnese aller Risikofaktoren von entscheidender Bedeutung für eine diagnostisch fundierte Parodontaltherapie (4, 5).
Der biologische Hintergrund
Die Mehrzahl der Bakterien in der Mundhöhle dient der Aufrechterhaltung des oralen Milieus und gilt demnach als benefizielle Flora. Parodontopathogene Markerkeime hingegen sind in der Lage, parodontales Weich- und Knochengewebe aktiv zu zerstören sowie massive Entzündungsreaktionen und letztlich den Verlust von natürlichen Zähnen und Implantaten zu verursachen. Obwohl das gesunde Parodont vornehmlich von aeroben, grampositiven Bakterien der benefiziellen Flora geprägt wird, sind auch parodontopathogene Markerkeime in geringer Anzahl vorhanden. Während der Etablierung einer Parodontitis vermehren sich diese Markerkeime, wodurch das subgingivale Keimspektrum mehr und mehr von diesen gramnegativen, anaeroben Bakterien dominiert wird (6, 7) (Abb. 1).
Gemäß den Arbeiten zur Komplextheorie von Socransky und Haffjee (8) werden das klinische Bild und die Verlaufsform von Parodontalerkrankungen dabei aber nicht allein durch das Vorhandensein und die Konzentrationen einzelner Keime bestimmt. Vielmehr ist das gemeinsame Vorkommen verschiedener Bakterienspezies, sogenannten „Bakterienkomplexen“, sowie deren Interaktionen von maßgeblicher Bedeutung für den Krankheitsverlauf (Abb. 2).
So können auch Keime, deren einzelne Konzentrationen für sich betrachtet als harmlos eingestuft werden, durch synergistische Effekte mit anderen Spezies eine behandlungsbedürftige Situation ergeben. Die Zusammensetzung und der Aufbau des subgingivalen Keimspektrums sind nicht einheitlich, sondern zeigen von Patient zu Patient erhebliche Unterschiede. Darüber hinaus variiert dies, gemäß der Komplextheorie, in den verschiedenen Phasen der Entwicklung von Parodontalerkrankungen. Man geht davon aus, dass die Besiedlung des Sulkus im Verlauf einer Parodontitis schrittweise verläuft (9, 10). Während die als Frühkolonisierer geltenden Bakterien des Orange-assoziierten Komplexes (Campylobacter rectus, Eubacterium nodatum) nur ein relativ geringes pathogenes Potenzial aufweisen und in der Regel durch eine rein instrumentelle Behandlung (SRP, Scaling & Root Planing) ausreichend reduziert werden können, ist insbesondere bei Vorliegen gewebeinvasiver Parodontalpathogene wie Aggregatibacter actinomycetemcomitans oder auch den Keimen des Roten Komplexes (Porphyromonas gingivalis, Tanerella forsythia, Treponema denticola) die mechanische Keimreduktion alleine nicht ausreichend und macht eine adjuvante Antibiotikatherapie notwendig (Abb. 3).
Auch bei fortgeschrittenen Infektionen, infolge einer hohen Bakterienbelastung, ist die rein mechanische Zerstörung und Reduktion des bakteriellen Biofilm ungenügend (11, 12). Wenn das klinische Bild nach der Initial- und Hygienephase keine Verbesserung zeigt, sollte spätestens zu diesem Zeitpunkt eine mikrobiologische Analyse des individuellen subgingivalen Keimspektrums, bspw. mit Hilfe spezieller Testsysteme wie micro-IDent und micro-IDentplus (Fa. Hain Lifescience, Nehren), durchgeführt werden. Auf Grundlage der Analyseergebnissen und unter Berücksichtigung des klinischen Bildes sowie der Patienten-spezifischen Anamnese kann anschließend ein speziell auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnittener Behandlungsplan entworfen werden, und bei Indikation das optimal wirksamen Antibiotikum ausgewählt werden (13,14).
Antibiotikaeinsatz„So viel wie nötig, so wenig wie möglich“
Die Analyse des subgingivalen Keimspektrums gibt nicht nur Auskunft darüber, ob eine Antibiotikatherapie indiziert ist, sondern ermöglicht eine fundierte und gezielte Auswahl des erforderlichen Wirkstoffs. Nur auf dieser Grundlage ist eine zielgerichtete Antibiotika-Therapie möglich, und nur so können Unter- und Überbehandlungen sicher vermieden werden. Beispielsweise ist in diesem Zusammenhang der immer wieder nach dem Gießkannenprinzip praktizierte Einsatz des Winkelhoff-Cocktails (Kombination aus Amoxicillin und Metronidazol) bedenklich. Das zeigt auch eine Untersuchung eindrucksvoll, in der knapp 170.000 Sulkusproben parodontal erkrankter Patienten molekulargenetisch auf Vorkommen und Konzentration von parodontopathogenen Markerkeimen analysiert wurden (micro-IDent®, Hain Lifescience GmbH, Nehren) (15): Nur 23,67 Prozent der Untersuchten hätten aufgrund des nachgewiesenen Keimspektrums von einer Therapie mit dem Winkelhoff-Cocktail profitiert. Bei allen anderen Pateinten wäre eine adjuvante Antibiotikatherapie mit nur einem Wirkstoff ausreichend gewesen. Folglich wären mehr als 75 Prozent der untersuchten Patienten ohne vorherige mikrobiologische Analyse übertherapiert worden (Abb. 4).
Das ist weder therapeutisch sinnvoll noch im Interesse des Patienten, da sich Resistenzen bilden, oder auch Nebenwirkungen auftreten könnten Die Einhaltung der goldenen Regel der Mikrobiologie: “Keine Antibiotikatherapie ohne detaillierte Kenntnis des Erregerspektrums!“ wird daher von der DGP/DGZMK in ihrer Stellungnahme ebenso gefordert, wie von einer Kommission ausgewiesener PA-Experten im Rahmen einer Konsensusempfehlung zur mikrobiologischen Diagnostik in der Parodontaltherapie (13, 16).
Da mit zunehmendem Alter häufig eine Multimedikation besteht, sollten vor einer adjuvanten systemische Antibiose stets potentielle Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten berücksichtigt werden und im Zweifel Rücksprache mit dem Hausarzt gehalten werden (4, 5).
Situation bei Periimplantitis
Nicht zuletzt aufgrund von Zahnverlust durch parodontale Erkrankungen wird Zahnersatz mit fortschreitendem Alter ein zunehmend wichtiges Thema. Festsitzender, Implantat-getragener Zahnersatz hat gegenüber herausnehmbarer Prothesen eine Reihe von Vorteilen. Aufgrund besserer Kaueffizienz, höherem Tragekomfort und längerer Haltbarkeit wird er deshalb immer häufiger favorisiert. Obwohl moderne Implantatsysteme selbst bei schwierigen Indikationen hohe primäre Erfolgsquoten zeigen, kann mit steigender Zahl und Verweildauer enossaler Implantate eine Zunahme postimplantologischer Komplikationen und Implantatsmisserfolgen verzeichnet werden. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass klinisch unauffällige Implantate eine ähnliche Besiedelung mit grampositiven Keimen aufweisen, wie sie auch im gesunden Parodont anzutreffen ist. Analog dazu ist das Keimspektrum periimplantärer Infektionen vergleichbar zu dem der Parodontitis.
So wurden parodontopathogene Bakterienspezies wie P. gingivalis, T. forsythia, T. denticola, P. intermedia sowie F. nucleatum, E. corrodens, C. rectus, P. micra und nicht zuletzt A. actinomycetemcomitans auch bei Patienten mit Implantationsmisserfolgen in signifikant erhöhten Konzentrationen gefunden (17, 18, 19) (Abb. 5). Da die parodontale Tasche der natürlichen Zähne als primäre Quelle der Periimplantitis-auslösenden Bakterien gilt (20), sollte gemäß dem ersten implantologischen Imperativ „Kein Implantat bei bestehender Parodontitis!“ eine implantologische Versorgung ausschließlich bei nachgewiesener Keimfreiheit durchgeführt werden. Nur wenn die Implantation in ein mikrobiologisch gesundes Gewebe erfolgt, können langfristig erfolgreiche Ergebnisse erzielt werden. Auch hier bietet die mikrobiologische Diagnostik wertvolle Unterstützung! Durch Einsatz von Markerkeimanalysen kann bereits präimplantologisch ein erhöhtes Risiko für eine periimplantäre Infektion diagnostiziert und durch entsprechende antimikrobielle Therapiemaßnahmen beseitigt werden.
Über die Behandlung der Periimplantitis gibt es bis dato keinen verbindlichen Konsens. Aufgrund ihrer Vergleichbarkeit mit der Parodontitis versprechen Ansätze aus der Parodontaltherapie allerdings auch bei der Behandlung der Periimplantitis Erfolg. Während eine alleinige mechanische Reinigung zur effizienten Keimreduktion in der Regel nicht ausreicht, kann bei gleichzeitiger Reduktion der Anzahl pathogener Erreger durch eine spezifische Antibiotikatherapie der Verlust des Implantats häufig verhindert werden (21). Die Kenntnis des Erregerspektrums kann somit auch bei periimplantären Infektionen hilfreiche Informationen für eine optimale Behandlungsplanung bieten.
Parodontaltherapie im fortgeschrittenen Alter
Gemäß den Ergebnissen der letzten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV), leiden fast 88 Prozent der über 65 Jährigen an einer therapiedürftigen Parodontalerkrankung.
Die Erhebung zeigt zusätzlich, dass bereits über die Hälfte der heute 45- bis 54-Jährigen an einer mittelschweren und 20 Prozent an einer schweren Parodontalerkrankung leiden. Da es sich bei dieser zukünftigen Generation 60plus um geburtenstarke Jahrgänge handelt, wird der Anteil an älteren Patienten mit Behandlungsbedarf in den nächsten Jahrzehnten drastisch ansteigen – eine Herausforderung, der sich die moderne Zahnmedizin frühzeitig stellen sollte.
Die Ursache für die ansteigende Prävalenz von Parodontalerkrankungen mit zunehmendem Lebensalter ist an sich erfreulich: Aufgrund eines gesteigerten Gesundheitsbewusstseins und besserer Zahnpflege bleiben die eigenen Zähne heute erheblich länger erhalten als früher. Der Verbleib der natürlichen Zähne bis ins hohe Alter begünstigt allerdings auch die Entstehung von Parodontitiden. Einerseits kann sich die pathologische Bakterienflora über Jahre hinweg etablieren und die Zerstörung des Zahnhalteapparates kontinuierlich vorantreiben. Andererseits fördern altersbedingte physiologische Veränderungen der Mundschleimhaut sowie das Nachlassen der Immunabwehr die Entstehung parodontaler Erkrankungen zusätzlich. Eine wichtige Rolle spielen überdies die im Alter zunehmenden Allgemeinerkrankungen und die damit einhergehende, notwendige Medikamenteneinnahme. Blutdrucksenker, Psychopharmaka sowie Anti-Parkinsonmittel oder Diuretika können Auswirkungen auf die Mundgesundheit haben, indem sie beispielsweise Xerostomie fördern und so das Risiko für parodontale Erkrankungen weiter erhöhen (22, 4). Auch die sinkende Regenerationsfähigkeit des Parodonts sowie eine durch zunehmend eingeschränkte Feinmotorik nachlassende Mundhygiene tragen zu einem Anstieg der behandlungsbedürftigen Parodontopathien bei älteren Menschen bei. Aus diesem Grund sind gerade auch im fortgeschrittenen Lebensalter eine intensive häusliche Mundhygiene und regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen außerordentlich wichtig (5).
Reziprok zu dem Einfluss der Allgemeinerkrankungen auf den Parodontitisverlauf, können sich auch parodontale Erkrankungen, wie alle chronisch-bakteriellen Infektionen, systemisch auswirken. Ausgehend von der parodontalen Tasche können die Parodontitis-Bakterien über den Blutkreislauf disseminieren und in andere Bereiche des Körpers gelangen. Wie zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, kann eine profunde Parodontitis Auftreten und Verlauf einiger Allgemeinerkrankungen beeinflussen und so zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen (23, 24,25).
Parodontalerkrankungen haben beispielsweise einen negativen Einfluss auf:
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Arteriosklerose
- Thromboembolien
- Herzinfarkt
- Schlaganfall
- Diabetes mellitus
- Nierenerkrankungen, Dialyse
- Rheumatoide Arthritis
- Atemwegsinfektionen
Da im Alter sowohl Allgemein- als auch Parodontalerkrankungen gehäuft auftreten, sollten diese Zusammenhänge in der Therapie bedacht werden. Denn wird eine bestehende Parodontitis erfolgreich behandelt, so kann dies auch für die Allgemeingesundheit positive Auswirkungen haben – und andersherum.