Nicht nur schön

Dr. Knut Hansen
Dr. Knut Hansen

Die Biokompatibilität von Keramikimplantaten

In jüngster Zeit hat das Thema Biokompatibilität von Implantatsystemen auf Podien und auch in der Fachpresse mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. Titan als Goldstandard mit mehr als vierzig Jahren erfolgreicher klinischer Anwendung steht dabei im Zentrum der Diskussionen. Es scheint sich der Verdacht zu erhärten, dass ein Teil der auftretenden klinischen Probleme mit dessen Materialeigenschaften zusammenhängen könnten.

Neben der Etablierung von Therapiekonzepten zur Beseitigung dieser Komplikationen, wie etwa der Periimplantitis, setzen Praktiker zunehmend auf alternative Implantatmaterialien, mit dem Ziel diese gar nicht erst entstehen zu lassen. Sehr vielversprechend scheinen dabei Keramikimplantate, die sich zunächst vor allem durch ihre ästhetischen Vorteile im Frontzahnbereich hervorgetan haben. Gerade bei dünnem Gingivabiotyp konnten mit Hilfe dieses weißen Werkstoffs dunkle Verfärbungen, wie sie bei Titan beobachtet werden können, unkompliziert vermieden werden. 

Aber scheinbar kann Zirkondioxid mit weiteren Eigenschaften das Langzeitergebnis einer Implantattherapie positiv beeinflussen. In der Vergangenheit gab es immer wieder, vor allem seitens ganzheitlich tätiger Kollegen, die Vermutung, dass Titan die Gesundheit des Patienten beeinflussen könnte.

Auch aus der umweltzahnmedizinischen Praxis des Autors sind viele Fälle bekannt, wo es nach einer Titanimplantation zu systemischen Entzündungsreaktionen der Patienten gekommen ist. Zwar ist aufgrund der physiologischen Abläufe im Zusammenhang mit einer spezifischen Immunreaktion nach wie vor die gängige Meinung, dass eine allergische Reaktion im eigentlichen Sinne ausgeschlossen werden kann, aber es gibt mittlerweile immunologische Erkenntnisse, die eine Beteiligung des Titans an Entzündungsreaktionen nicht mehr ausschließen. Diese legen nahe, dass es Einflüsse von Titanimplantaten auf den Organismus gibt. Obwohl keine wirklich aktive Allergie vorliegt, ist das Immunsystem, wenn auch auf anderer Basis, in das Geschehen involviert. Neuere wissenschaftliche Arbeiten (E. Jacobi-Gresser et al.) beschreiben diesen Impact von Titan auf die makrophagengestützte Inflammation (siehe Literaturliste).

Das Immunsystem als Basis

Wesentlich dabei ist die Erkenntnis, dass man grob gesagt das Immunsystem in das unspezifische „alte“ Immunsystem mit seinen Makrophagen und in das „neue“ spezifische Immunsystem mit seinen T-Lymphozyten aufteilen kann.

Die Aufgabe der Makrophagen des „alten“ Immunsystems ist es, Fremdmaterial, was von außen in den Körper eindringt, zu phagozytieren. Die im Rahmen der Phagozytose aufgenommenen Proteine und Peptide werden lysosomal abgebaut, am glatten endoplasmatischen Retikulum mit dem MHC-II-Rezeptor verbunden und in der Außenmembran des Makrophagen zusammen mit dem CD-4-Rezeptor präsentiert, an den die T-Helfer-Zellen andocken. Diese T-Helfer-Zellen werden dann immunologisch aktiv, indem die humorale Immunantwort in den B-Lymphozyten induziert und Zytokine sezerniert werden. Erst in diesem zweiten Teil spielt sich die eigentlich wirksame Allergieantwort ab. Doch diese Phase tritt bei der Reaktion auf Titan nachgewiesenermaßen nicht auf.

Die Rolle des Titans

Obwohl die spezifische Immunantwort fehlt, werden Reaktionen auf Titan beobachtet und sind häufiger als bislang angenommen. Auslöser dafür scheint die erste Phase, also die unspezifische makrophagozytäre Reaktion, zu sein und nicht die allergenspezifische lymphozytäre. Statistisch scheint dies auf circa 15 Prozent der Fälle zuzutreffen, eine sicher nicht zu vernachlässigende Zahl.

Über die Jahre konnte gezeigt werden, dass die Oberflächengestaltung der Implantate wesentlich zur Osseointegration und zur Stabilität im Knochen beiträgt. Allerdings zeigen Untersuchungen auch, dass beim Eindrehen in den Knochen Mikropartikel von der Oberfläche abgerieben werden können und in den periimplantären Knochen gelangen. Sie sind so für das Immunsystem zugänglich.

Die gesteigerte Abwehrreaktion von Gewebemakrophagen (Osteoklasten, Bindegewebsmakrophagen) auf Titanpartikel in unmittelbarer Nähe zum Implantat bezieht sich hauptsächlich auf Partikelgrößen zwischen 1 und 5 μ, die eine besondere Herausforderung für Makrophagen darstellen, da sie von der Partikelgröße zwar phagozytierbar, nicht aber abbaubar sind. Dies führt zu einer Zytokinausschüttung, Rekrutierung anderer Immunzellen und letztendlich zum Absterben des Makrophagen. Der nicht abgebaute Partikel wird wieder freigesetzt und vom nächsten Makrophagen aufgenommen. Dieser sich wiederholende Ablauf führt zu einem ständigen Anfluten der systemischen Entzündungszytokine IL1b und TNFa mit den entsprechenden systemischen Auswirkungen.

 

Einflüsse der Genetik

Die Aktivierung und Dauer der Entzündungsantwort ist von der genetischen Disposition abhängig. Tumornekrosefaktor alpha (TNFa) und Interleukin 1-beta (IL1b) als erster Baustein der Immunantwort schieben den Entzündungsvorgang (Inflammation) im Körper an. Dieser Entzündungsvorgang ist ein balancierter Akt, der nach dem Verschwinden des Allergens wieder heruntergefahren werden muss, damit sich der Körper nicht selbst schädigt. Dafür sind zum Beispiel Interleukin 10 (IL10) und Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL1-RA) verantwortlich. Da diese Funktionen auf unterschiedlichen Genloci verankert sind, kommt es zu sehr unterschiedlichen Mustern von Entzündungsreaktionen. Diese reichen von einer moderaten Inflammation bis zu einer gesteigerten Form (Inflammations-Low-Responder-High-Responder) und werden mit den Graden 0-4 gekennzeichnet. In den Graden 2-4 scheint es sogar möglich, dass trotz anfänglich fehlender Makrophagenantwort auf Titanoxidpartikel sich diese mit der Zeit doch entwickelt.

Testmöglichkeiten, ob bei einem Patienten ein Risiko besteht auf eine Insertion eines Titanimplantats sensibel zu reagieren, kann über einen Titanstimulationstest und über die Bestimmung der Entzündungsgenetik erfolgen:

Rolle der allergischen Komponente (Typ IV) beim Titan

Die Voraussetzung für eine lymphozytäre Reaktion des Immunsystem auf Metalle ist die Tatsache, dass die Metalle in ionisierter Form vorliegen, das heißt positiv geladen sein müssen. Dadurch können sie sich an Eiweiße binden, diese in Ihrer Struktur verändern und damit eine Immunreaktion auslösen, denn das Metall selbst ist viel zu klein, um Immunreaktionen auszulösen. Die Rezeptoren auf der T-Zellmembran erkennen Fremdes an der veränderten Struktur.

Titan oxidiert sofort bei der Berührung mit Sauerstoff und liegt dann immunologisch meist inert vor. Da in der Zahnmedizin hochreine Titanlegierungen verwendet werden, ist eine Allergie eher unwahrscheinlich.  Allerdings berichten Addison et al., dass Titan in saurem Milieu korrodieren und infolgedessen Ionen abgeben kann, die dann eine Fremdkörperreaktion auslösen können. Eine pH-Wertänderung, wie sie bei Entzündungsreaktionen vorliegt, könnte hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Diskutiert wird auch, ob minimale Anteile von Fremdmetallen in der Legierung, zum Beispiel Aluminium, Vanadium und Nickel, eine allergische Reaktion vom Typ IV auslösen könnten, da eine Allergie nicht an eine bestimmte Schwellenmenge gekoppelt ist. Mittlerweile wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob Titanimplantate für Nickelallergiker ein Risiko bedeuten könnten. Dies ließe sich mit einem LTT-Test abklären.

Toxinbelastung: Bakterielle Kontamination in der Titanimplantat-Abutment-Verbindung

Die sogenannte Bakteriendichtigkeit von Implantat-Aufbauverbindungen war in der Vergangenheit ebenfalls Thema von klinisch-wissenschaftlichen Untersuchungen. Insbesondere „Flat-to-Flat“-Verbindungen scheinen hier aufgrund ihrer technischen Spezifikationen problematisch zu sein. Beim Entfernen eines Aufbaus, der längere Zeit in situ war, kann gerade bei diesem Verbindungstyp ein unangenehmer Geruch wahrgenommen werden, der durch die Toxine bzw. Abbauprodukte der Bakterien, die das Innere der Implantatgeometrie besiedelt haben, hervorgerufen wird. Konische Verbindungen sollten hier Abhilfe schaffen.

In einer Röntgenuntersuchung dieses Verbundes an Titanimplantaten konnte gezeigt werden, dass sich das Metall durch die Scherkräfte verwindet und einen bakteriendurchlässigen Spalt freigibt, in das Keimmaterial eingesaugt, aber auch wieder in die Gewebeumgebung abgegeben werden kann. Die dabei entstehenden anaeroben bakteriellen Toxine Mercaptan und Thioäther können ähnlich wie bei einem toxinbelasteten wurzelgefüllten Zahn zu Immunreaktionen führen.

Zirkon als Alternativmaterial

Zirkon als Element ist zwar auch ein Metall und gehört neben Titan und Hafnium zur Titangruppe. Als Dentalwerkstoff findet es in Form des Zirkondioxid Verwendung und ist fest an Sauerstoff gebunden, dadurch geht es nicht in Lösung.

Dieser Vorteil kommt auch den Keramikimplantaten der neuen Generation zugute. Allerdings waren diese, aufgrund eingeschränkter technischer Möglichkeiten, zunächst nur einteilig umsetzbar, das heißt die Einheilung erfolgte stets transgingival mit den entsprechenden Gefahren der Überbelastung, etwa durch Kaukräfte. In der Regel mussten sich die Patienten über die Einheilzeit mit Schienen vor dieser Überbelastung schützen und die Akzeptanz war bei Patienten und Behandlern insgesamt eher gering, auch wegen der eingeschränkten prothetischen Flexibilität. Es zeigte sich aber, dass Keramikimplantate sich gegenüber den oralen Geweben völlig neutral verhalten und nicht zu Entzündungsreaktionen neigen.

Zweiteilige Implantatsysteme sind seit zirka 10 Jahren auf dem Markt und haben sich in dieser Zeit sehr stark verändert. Während anfangs mit Verklebungen der Aufbauten im Implantat gearbeitet wurde, was bei Frakturen oft auch zu komplettem Fehlschlag des Implantates führen konnte, sind mittlerweile verschraubbare Systeme auf dem Markt etabliert. Wegen der kurzen Beobachtungszeiträume der zweiteiligen Systeme und den fortlaufenden Optimierungen im Implantatdesign gibt es nur wenige Langzeitbeobachtungen zu Zirkonoxidimplantaten. Diese konnten aber eine Überlebensrate von Zirkondioxidimplantaten dokumentieren, die der von Titanimplantaten vergleichbar ist.

Ein besonderes Feature neben der Zweiteiligkeit hat das Zeramex Implantatsystem (Dentalpoint AG, Spreitenbach/Schweiz), bei dem durch eine innovative Kohlefaserschraube eine völlige Metallfreiheit erzielt werden kann, ein Plus insbesondere für metallsensible Patienten.

Im dargestellten klinischen Fall kam das Zeramex P6 Implantat zum Einsatz.

 

Zeramex P6 bietet dank reversibler Verschraubung und keramischen Abutments große Flexibilität. Dank schlankem und übersichtlichem Portfolio lässt das System viele Versorgungsmöglichkeiten zu.

  • Monolithische Kronen und Brücken aus optimierten Kunststoffen oder Zirkondioxid
  • Vollkeramische Kronen und Brücken aus Schicht- oder Presskeramik auf einer Zirkondioxidkappe
  • Direkt über CAD/CAM konstruierte und gefräste Restaurationen
  • Aber auch Versorgung zahnloser Kiefer mit einem Locator-System sind durchführbar

Dank verschiedener Schulterhöhen und Abwinkelungen gibt es für jeden Fall das passende Abutment für eine ästhetisch anspruchsvolle, 100 Prozent metallfreie Implantatprothetik.

Eine entscheidende Weiterentwicklung beim Zeramex P6 System ist die Verbindung von Aufbau und Implantat mit der karbonfaserverstärkten Vicarbo Schraube. Durch das Verpressen beim Einbringen des Schraubengewindes in die Impantatgewindegänge werden bakterielle Einlagerungen minimiert. Ein korrekter, dauerhafter Sitz des verschraubten Abutments wird den Behandlungserfolg langfristig positiv beeinflussen. Diese verschraubte Keramik-Keramik-Verbindung ist passgenau und spannungsfrei, sie zeichnet sich durch gute isoelastische Eigenschaften aus. Sie ist metallfrei und biokompatibel nach ISO 10993.

Prothetisches Vorgehen

Die prothetische Versorgung im vorliegenden Fall wurde, nach einer offenen indirekten Abformung, im Labor realisiert. Dabei wurde die Aufbauhöhe auf Arbeitslänge gekürzt und dann gescannt. Die weitere Konstruktion des Zirkongerüstes erfolgte digital nach Übergabe an ein Fräszentrum. Die Verblendung wurde dann individuell nach Farbnahme geschichtet und gebrannt. Zum Einbringen des Aufbaus in das Implantat wurde eine Positionierhilfe aus Kunststoff angefertigt, die das Abutment sicher während des endgültigen drehmomentgesteuerten Festziehens der Schraube gegen Verkantung sichert.

Grenzen von Keramikimplantaten

Einen 100-prozentigen Erfolg gibt es bei keinem System, denn auch andere Wirkmechanismen des Immunsystems, als die hier beschriebenen, können zu einer Periimplantitis mit Knochenabbauphänomenen bis zum Verlust des Implantates führen.

Ein wesentlicher Faktor dabei ist die Schleimhautimmunität. Diese ist vor allem an den Grenzflächen des Organismus zur Umgebung aktiv und sorgt für eine effektive bakterielle Abwehr von Infektionen. Dabei spielt zum Beispiel das sekretorische IgA und das mannosebindende Lektin, welches sich an Bakterienmembranen bindet und so das Bakterium für die Phagozytose durch Granulozyten markiert, eine Rolle. Kommt es hier zu Defiziten, kann ein effektiver Schutz der Grenzfläche nicht gewährleitet werden und eine Infektion mit entsprechendem Knochenabbau ist die Folge. Dies gilt für alle Implantattypen auch für keramische. Für diese Primärfunktion der Immunzellen steht auch ein Test zur Verfügung.

Ein weiteres Risiko für den Misserfolg einer Implantation liegt in der Implantatplanung. Knochen ist nicht gleich Knochen, denn häufig heilen Extraktionswunden besonders nach einer ungünstigen Zahngeschichte durch Toxine und chronische Ostitiden nicht richtig aus. Restostitiden verbleiben im Knochen, die dann sehr schlechte Voraussetzungen für eine geregelte Osseointegration bilden.

Ausblick für die Zukunft

Keramikimplantate sind immer weiter auf dem Vormarsch, zum einen, weil sie von gesundheitsbewussten Patienten häufiger verlangt werden, zum anderen, weil sie auch im Handling immer praxistauglicher werden und den Vergleich mit den Titanimplantaten nicht scheuen müssen.  Zunehmend gibt es auch mehr und mehr Langzeiterfahrungen. Allein die sehr konservativ angelegte Einheilzeit ist noch ein Nachteil. Allerdings gilt es hier zunächst genügend Evidenz aufzubauen, bevor die komfortable, verkürzte Einheilzeit auch für keramische Implantate freigegeben werden sollte.

Das Dental Barometer immer mit dabei

Mit unserem E-Paper haben Sie die Möglichkeit alle Ausgaben kostenfrei mobil auf Ihrem Smartphone, Tablet oder Laptop zu lesen.

barometer-online.info