Hohe Patientenzufriedenheit bei minimalen Risiken: Das All-on-four-Konzept hat sich bewährt

Dr. Christian Mehl
Dr. Christian Mehl

Sofortimplantation in Schräglage: Was früher Argwohn hervorgerufen hätte, gehört mittlerweile zum Repertoire vieler Praxen. Anhand eines Patientenbeispiels beschreibt dieser Artikel den Workflow des All-on-four-Konzepts, der von den Möglichkeiten der digitalen Zahnheilkunde profitiert und selbst bei grenzwertigen Indikationen solide Ergebnisse erzielen kann.

Abb: 11) Kontroll OPG

Die Spätimplantation galt lange Zeit als Goldstandard. Die Versorgung mit einer Interimsprothese und Veränderungen der periimplantären Gewebe wie Knochenresorptionen sind allerdings kaum zu verleugnende Nachteile und können sogar eine Augmentation erfordern. 1 So sind Sofortimplantationen vor allem bei einwurzeligen Zähnen und Zahnlosigkeit eine gangbare Alternative. Der vergleichsweise kostengünstigere Eingriff und die kürzeren Behandlungszeiten schlagen sich außerdem in hoher Patientenzufriedenheit nieder. Tatsächlich ist diese bei Sofortimplantaten mit 95 Prozent deutlich höherer als bei Spätimplantaten (84 Prozent). 2

Schräg gesetzte Implantate waren in der Zahnmedizin lang verpönt, da der Druck auf den periimplantären kortikalen Knochen bei nicht axial gesetzten Implantaten höher ist. 3 Allerdings gibt es durchaus günstige Winkel, die für hohe Erfolgsraten sorgen. Mit computergestützter Planung sind die erforderlichen Winkel in der Praxis präzise einhaltbar. 4

Backward Planning zur präzisen Bestimmung der Implantatposition

Digitale Workflows haben die prothetische Zahnmedizin längst revolutioniert. Beim Backward Planning bestimmt der ideale Zahnersatz die Position des Implantats – und das bereits vor dem Eingriff. Die anhand der individuellen Patientendaten hergestellte Bohrschablone sorgt für die exakte Umsetzung der Planung im Operationsgebiet.

Zwar ist Backward Planning mit größerem Aufwand und höheren Kosten verbunden, doch die gesteigerte Präzision minimiert die Risiken und gewährleistet damit mehr Sicherheit für Patient und Chirurg. Gerade bei dem All-on-four-Konzept ist die optimale Positionierung der Implantate von größter Bedeutung. Denn die Schräglage ist nur dann ohne negative Folgen für die Haltbarkeit des Implantats, wenn der Winkel unter 45° ist. 4 Dann liegen die Fünf-Jahres-Überlebensraten bei 93 bis 100 Prozent.

Fallbeispiel: Digitaler Workflow mit dem COMFOUR™-System

Anamnese

Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung im Januar 2019 war der Patient 59 Jahre alt, der Allgemeinzustand war unauffällig. Die Erstuntersuchung in unserer Praxis zeigte Zahnlosigkeit im Oberkiefer und eine stark destruierte Restbezahnung im Unterkiefer. Der parodontale Zustand war bei unzureichender Mundhygiene ebenfalls instabil. Der Patient stellte sich bei uns in der Praxis mit dem Wunsch nach Neuversorgung vor.

Ausgangsbefunde

Extraoral konnten keine Auffälligkeiten festgestellt werden. Intraoral zeigte sich im Unterkiefer die keratinisierte Gingiva auf Grund der unbehandelten Parodontitis geschwollen und entzündet. Die Schleimhaut des Gaumens und der Zunge ergab keine pathologischen Veränderungen. Der dentale Befund zeigte klinisch ein teilbezahntes, insuffizient versorgtes Gebiss bei einer chronischen, generalisierten Parodontitis mit vertikalen Einbrüchen. Die Voraussetzung einer erfolgreichen Sofortimplantation im Frontzahngebiet war gegeben. Der Patient verfügte über eine weitgehend intakte knöcherne Alveole und eine unversehrte und ausreichend dicke bukkale Lamelle.

Klinisches und labortechnisches Vorgehen

Zunächst wurde nach der professionellen Zahnreinigung eine Parodontitistherapie im Unterkiefer vorgenommen. Die fehlenden Zähne wurden mit einem metallarmierten Langzeitbrückenprovisorium versehen (Ausgangssituation nach Initialversorgung Abb. 1 bis 4). Zur genauen Planung der Implantatpositionen und Analyse des Knochenlagers im Oberkiefer wurde eine dreidimensionale Röntgenaufnahme erstellt (Abb. 5). Die hohe Auflösung und Bildqualität in drei Ebenen ermöglicht eine überlagerungsfreie Abbildung aller anatomischen Strukturen bei geringer Strahlenbelastung. Das bedeutet für den Chirurgen eine bessere Planbarkeit des Eingriffs und eine Minimierung möglicher Gewebeverletzungen. Vorab lassen sich die günstigste Position der Implantate sowie die ideale Bohrtiefe und -richtung am PC bestimmen.

Im Labor wurde nach Artikulation der Situationsmodelle (Abb. 6) die vorhandene Totalprothese als Provisorium (Abb. 7 und 8) und als Bohrschablone (Abb. 9) doubliert. Bohrschablonen gewährleisten vor allem im Frontzahnbereich bessere ästhetische Ergebnisse.
Die Eröffnung des Zahnfleisches entfällt, die Operationsdauer ist kürzer und postoperative Schmerzen werden minimiert. In Intubationsnarkose und zusätzlicher Lokalanästhesie wurden die Implantatbohrungen mit Bohrschablone und im Anschluss die Implantatinsertion nach dem Comfour-Protokoll (Camlog) durchgeführt. Alle Knochendefekte wurden mit Knochenersatzmaterial bovinen Ursprungs verfüllt. Der augmentierte Bereich wurde mittels Membranen abgedeckt und dem ALTApin-Set fixiert. Es erfolgten ein Wundverschluss mit Einzelknopfnähten und die Anfertigung eines Kontrollröntgenbildes (Abb. 11).

Nach Abschluss des chirurgischen Teils der Behandlung begann die rekonstruktive Phase. Zunächst wurden auf den Implantaten die Mesostruktur mit einem Drehmoment von 20 Ncm befestigt und die Abformpfosten eingeschraubt. Es erfolgte die Abformung mit einem Polyether und die Kontrolle der Kieferrelation. Anschließend wurden im Hauslabor das Oberkiefermodell entworfen, das vor der Operation hergestellte Provisorium an die jetzt entstandene Situation angepasst, die provisorischen Abutments in der Prothese befestigt und die Prothese ausgearbeitet (Öffnen des Gaumens, Randgestaltung etc.). Der provisorische Zahnersatz wurde schließlich mit 10 Ncm eingebracht und die Schraubenkanäle mit einem sterilisiertem Teflonband und lichthärtendem Kunststoff verschlossen. Die Prothese wurde schließlich auf Ästhetik und Funktion hin überprüft (Abb. 12).

Der Patient kam nach sieben Tagen zur Nahtentfernung und wurde in dieser Sitzung ausgiebig in Mundhygiene unterrichtet. Die gründliche Reinigung der Prothese mit sanften Wasserstrahlgeräten, Interdentalbürstchen und Superfloss ist essentiell für den nachhaltigen Behandlungserfolg. Nach einer Einheilzeit von vier Wochen wird dann die definitive, verschraubte Brücke eingesetzt. Sie muss alle sechs Monate in der Praxis zur intensiven Reinigung entfernt werden.

Grenzen und Ausblicke

Für eine erfolgreiche Sofortimplantation ist die Orientierung an gängigen Empfehlungen sinnvoll. Dennoch sind Abweichungen vom Standard unter bestimmten Bedingungen möglich. Das All-on-four-Konzept bei komplettem Verlust der vestibulären Lamelle kann durchaus zu positiven Resultaten führen. Natürlich muss der Patient über die höhere Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs aufgeklärt werden. Eine chronisch apikale Beherdung ist übrigens keine Kontraindikation, da nach Entfernung des Granulationsgewebes und sorgfältiger Kürettage hohe Erfolgsraten möglich sind. 5 Aufgrund der vielen Vorteile des Behandlungskonzepts für den Patienten und die demographischen Veränderungen wird diese Form der Implantation zukünftig wohl häufiger nachgefragt werden. So ist eine Zunahme an Grenzfällen zu erwarten, die Behandler vor die Frage des Machbaren stellen. Die Erfahrungen in unserer Praxis mit dem COMFOURTM-System bestätigen die hohen Erfolgsquoten auch bei fragwürdigen Indikationen. Mehr Studien sind wünschenswert, um die Grenzgebiete der Sofortimplantation differenzierter zu beleuchten.

Kontakt

PD Dr. Christian Mehl

Zahnarzt, Spezialist für Prothetik und Implantologie — 1998 – 2003 Studium an der Universität Kiel 2004 Weiterbildungsassistent in Kiel 2004 – 2007 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Prothetik der Universität Kiel 2007 – 2010 Privatzahnklinik Swiss Smile Dental Clinics, Mayfair, London 2013 Erlangung der Habilitation und der Venia Legendi, Status eines Hochschullehrers 2013 Habilitation im Fach Zahnmedizin an der Universität Kiel, Ernennung zum Privatdozenten


HarderMehl Partnerschaftsgesellschaft Zahnärzte Volkartstraße 5 · 80634 München

Tel: Tel. +49 89 571544

http://www.zahnärzte-münchen.de

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