Frühzeitiger Zahnverlust bei Kindern: Was nun?

ZA Mhd Said Mourad
ZA Mhd Said Mourad, ZA Mahmoud K. Faheem, Dr. Julian Schmoeckel

Festsitzende Lückenhalter

Wie in einem Einführungsbeitrag (DB Ausgabe 5/2019) beschrieben, sind Spätfolgen bei Kindern mit frühzeitigen Milchzahnverlust möglich, doch gibt es glücklicherweise im Bereich des Lückenmanagements verschiedene Möglichkeiten diese zu vermeiden. Im vorangegangenen Beitrag dieser Reihe ging es um herausnehmbare Lückenhalter und im folgenden Beitrag werden zwei weitere verschiedene Patientenfälle vorgestellt, bei denen ein festsitzender passiver Lückenhalter eingesetzt wurde.

Little girl smiling, holding her missing tooth with pliers showing the gap

Fall 1 festsitzender passiver Lückenhalter 

Ein ängstliches 6½-jähriges Mädchen wurde von seinen Eltern in der Abteilung Kinderzahnheilkunde des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) der Universitätsmedizin Greifswald mit dem Wunsch nach „Diagnose und Behandlung der zerstörten Zähne“ vorgestellt. Bei diesem kleinen Kind wurde eine zahnärztliche Behandlung alio loco zunächst begonnen (Versuch einer Entfernung des Wurzelrestes), aber auf Grund der bei der Gabe der Lokalanästhesie unzureichenden Kooperation schließlich nicht durchgeführt. Anschließend wurde das Kind an einen spezialisierten Kinderzahnarzt verwiesen, da das Kind bereits häufiger über Zahnschmerzen im dritten Quadranten klagte.

Untersuchung und Behandlungsablauf

Vor der Untersuchung erfolgte ein Erwartungsabgleich und eine Beratung zu den Therapiezielen: Lebensqualität durch langfristig gesunde Zähne und ein vertrauensvolles Verhältnis zum Zahnarztbesuch. Das Kind zeigte keine allgemeinmedizinischen Auffälligkeiten. Der extraorale Befund war ebenfalls unauffällig. Eine intraorale Untersuchung bei Erstvorstellung ergab, dass Zahn 74 tief zerstört war und nur noch Wurzelreste vorlagen. Eine Schwellung lag bei Zahn 74 nicht (mehr) vor. Ein beim Vorbehandler angefertigtes Röntgenbild wurde von den Eltern mitgebracht und zeigt nicht nur den tiefkariösen Zahn 74, sondern auch, dass Zahn 34 angelegt ist (Abb. 1).

In diesem ersten Termin wurden zudem die Zähne des Kindes mit einer Plaqueanfärbelösung angemalt und mit einem rotierenden Bürstchen geputzt (zur Desensibilisierung und Individualprophylaxe). Dazu wurden verschiedene Techniken der Verhaltensformung (unter anderem Tell-Show-Do und Pausen-Hand)1 und hypnotischen Kommunikation genutzt.

Aufgrund geringer Mitarbeit wurden zunächst ein zweiter Desensibilisierungstermin und ein Termin für die  Extraktionen unter Lachgassedierung vereinbart. Nach dem zweiten Desensibilisierungstermin inklusive Individualprophylaxe zeigte das Kind eine deutliche Verbesserung der Kooperation. Eine Entfernung der Wurzelreste des Zahns 74 wurde mittels informierter Zustimmung mit den Eltern unter Lachgassedierung vereinbart (Abb. 2). Ein festsitzender Lückenhalter als präventive Maßnahme zur Vermeidung von Lückeneinengung regio 74 wurde, wie generell in der amerikanischen Leitlinie empfohlen2, angeraten. Die Extraktion der verbleibenden Wurzeln regio 74 wurde  komplikationslos unter Lachgassedierung durchgeführt. Nach etwa zwei Wochen (Abb. 3) stellte sich die Patientin wie geplant vor, um den festsitzenden Platzhalter einzusetzen.

Das passende Band für den Zahn 75 wurde zunächst nach Anprobe ausgesucht. Dann wurde die genaue Länge des Platzhalterdrahtes gemessen und entsprechend gekürzt (Abb. 4). Die Passung des Drahtes in den Platzhalterröhrchen wurde auch getestet und der Draht anschließend darin fixiert. Danach wurde der Lückenhalter mit dünnfließendem Glasionomerzement befestigt (Abb. 5). Die Okklusion wurde alsdann auf Vorkontakte geprüft. Eine Aufklärung der Eltern und des Kindes erfolgte zur Reinigung des Lückenhalters. Ein Recallintervall von drei Monaten wurde wegen des erhöhten Kariesrisikos und zur Kontrolle des Lückenhalters empfohlen.

Fall 2 – festsitzender passiver Lückenhalter mit “distal shoe“

Ein zunächst mäßig kooperatives sechsjähriges Kind wurde von seinen Eltern in der Abteilung Kinderzahnheilkunde des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) der Universitätsmedizin Greifswald mit dem Wunsch der Weiterbehandlung vorgestellt.

Untersuchung und Behandlungsablauf

Vor der Untersuchung erfolgten, wie bei dem vorangegangenen Fall beschrieben, ein Erwartungsabgleich und eine Beratung zu den Therapiezielen. Das Kind zeigte keine allgemeinmedizinischen Auffälligkeiten. Der extraorale Befund war ebenfalls unauffällig. Eine intraorale Untersuchung bei Erstvorstellung ergab, dass Zahn 65 tief kariös war und den Durchbruch von Zahn 26 behinderte.

In diesem ersten Termin erfolgte ebenfalls eine Individualprophylaxe zur Desensibilisierung. Die röntgenologische Untersuchung ergab, dass Zahn 65 eine tiefe kariöse Läsion aufwies und der Zahn wurde als nicht  mehr erhaltungswürdig eingestuft (Abb.  6). Nach dem ersten Desensibilisierungstermin inklusive Individualprophylaxe zeigte das Kind eine deutliche Verbesserung der Kooperation. Eine Entfernung des Zahns 65 wurde mittels informierter Zustimmung mit den Eltern unter Lachgassedierung vereinbart, da das Kind in der Desensibilisierungssitzung eine deutliche Verbesserung der Kooperation zeigte.

Ein festsitzender Lückenhalter mit „distal shoe“ als präventive Maßnahme zur Vermeidung von Lückeneinengung regio 65 wurde, wie generell in der amerikanischen Leitlinie empfohlen2, angeraten, um die sonst wahrscheinliche Lückeneinengung durch 26 zu verhindern.

Die Extraktion des Zahnes 65 wurde komplikationslos unter Lachgassedierung durchgeführt. Gleich nach der Extraktion wurde der festsitzende Lückenhalter mit „distal shoe“ mittels dünnfließendem Glasionomerzement befestigt (Abb. 7). Die Okklusion wurde anschließend auf Vorkontakte geprüft. Eine Aufklärung der Eltern und des Kindes erfolgte zur Reinigung des Lückenhalters. Ein Recallintervall von drei Monaten wurde empfohlen. Nach vollständigem Durchbruch des ersten Molaren kann entweder der feste Lückenhalter modifiziert werden, indem der „distal shoe“ abgetrennt wird, oder der Lückenhalter ganz entfernt und stattdessen eine heraus- nehmbare Apparatur angefertigt wird.

Diskussion Lückenmanagement

Der frühe Verlust (> 1,5 Jahre vor physiologischer Exfoliation3) von Milchmolaren ist ein häufig auftretendes Problem in der Kinderzahnheilkunde. Dieser Verlust kann mehrere Ursachen haben, wie zum Beispiel Zahnkaries, Traumata oder Parodontalerkrankungen. Der rechtzeitige Einsatz von Platzhaltern nach einer frühzeitigen Milchzahnextraktion kann den Schweregrad von späteren Problemen wie Platzmangel im permanenten Gebiss reduzieren oder sogar vermeiden.

In diesem ersten geschilderten Fall handelte es sich um eine unilaterale Lücke im Unterkiefer des Kindes, deutlich vor erwartetem Zahndurchbruch des ersten Prämolaren. Es wurde daher zeitnah ein Lückenmanagement empfohlen. Dieses erfolgte mit Hilfe eines festsitzenden Lückenhalters, weil dies für diesen Fall vorteilhaft erschien, auch wenn die Kosten nicht von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen werden. Alternativ wäre auch die Anfertigung eines herausnehmbaren Lückenhalters durch eine klassische Alginatabformung und Anfertigung im Labor möglich gewesen. Der festsitzende Lückenhalter hat den Vorteil, dass er, wenn gewünscht, sogar direkt im Anschluss an die Extraktion (im selben Termin) eingesetzt werden kann (Einsparung von Behandlungstermin, geringerer Aufwand für die Eltern). Zudem bleibt dann dem Kind das möglicherweise unangenehme Erlebnis bei der Abformung erspart. Außerdem verbleibt der feste Lückenhalter bei den Kindern immer innerhalb des Mundes und dadurch wird das leider weit verbreitete Problem des Nichttragens oder des unregelmäßigen Tragens von herausnehmbaren Lückenhaltern umgangen. Der Lückenhalter sollte bis zum Durchbruch des Zahnes 34 getragen und regelmäßig circa alle drei Monate kontrolliert werden. Bei Durchbruch des bleibenden Nachfolgers kann der festsitzende Lückenhalter leicht entfernt werden, wie die Bilderserie bei einem anderen Patienten zeigt (Abb. 8). Oftmals ist dies jedoch gar nicht nötig, da der feste Lückenhalter mit physiologischer Exfoliation des Milchzahns (hier 75) herausfällt.

In dem zweiten geschilderten Fall wurde ein festsitzender Lückenhafter mit einem „distal shoe“ eingesetzt. Dies war hier spezifisch indiziert, da der zweite Milchmolar vor dem Durchbruch des permanenten ersten Molaren entfernt wurde. Diese Variante des festen Lückenhalters weist zusätzlich eine Art „Schiene“ (distal shoe) für den Durchbruch des ersten Molaren auf. Diese liegt subgingival in der Alveole der distalen Wurzel des zweiten Milchmolaren. Bei weiterem Durchbruch gleitet die mesiale Fläche des durchbrechenden permanenten Mola- ren entlang dieser „Leitschiene“, sodass eine spätere deutliche Lückeneinengung vermieden wird.

Zu beachten ist beim festsitzenden  Lückenhalter  mit  „distal shoe“ die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit des Einsetzens direkt nach der Extraktion (also auch in Narkose), auch wenn der erste bleibende Molar noch nicht im Durchbruch ist. Der Verbleib des „distal shoe“ bis zum Durchbruch des bleibenden Nachfolgezahns (hier 25) ist nicht anzuraten, da er dessen Durchbruch behindern kann. Bei vollständigem Durchbruch des ersten permanenten Molaren sollte daher der feste Lückenhalter mit „distal shoe“ modifiziert werden, indem der „distal shoe“ abgetrennt wird. Für diese Anpassung muss der feste Lückenhalter kurz herausgenommen, dazu bietet sich eine spezielle Zange an, und anschließend wieder eingesetzt werden. Alternativ kann zu diesem Zeitpunkt der feste Lückenhalter auch gut gegen eine herausnehmbare Apparatur ausgetauscht werden.

Laut Stellungnahme der DGZMK zur Indikation und Gestaltung von Lückenhaltern nach vorzeitigem Milchzahnverlust, wird ein Lückenhalter erst empfohlen, wenn sich nach Abwarten über sechs Monate eine Lückeneinengung von >1mm ereignet3. Dies steht im Widerspruch zu der Amerikanischen Leitlinie, die generell den Einsatz von Lückenhaltern zur Vermeidung von Platzeinengung empfiehlt. Studien zeigen, dass zudem der Hauptteil der Lückeneinengung in den ersten Monaten geschieht.4 Ungenügende Evidenz liegt zurzeit darüber vor, bei welchen Patienten die Wahrscheinlichkeit für Lückeneinengung am größten ist und ein Lückenmanagement folglich zwingend erfolgen sollte. Bei grober Abwägung von Kosten und Nutzen wären die Kosten selbst bei einer Vielzahl an „unnötig präventiv“ eingesetzten Lückenhaltern für die Krankenkassen insgesamt geringer als bei den in der Regel sehr kostenintensiven KFO-Behandlungen nach Lückeneinengung für vergleichsweise wenige Patienten. Genauere Ausführungen zur Lachgassedierung und auch zum Kariesmanagement sind in einem vorangegangen Fallbeispiel zu finden (siehe Diskussion des Falls zum herausnehmbaren Lückenhalter in der DB Ausgabe 6/2019, Seite 42 f.).

Fazit

Nach  frühzeitiger  Milchzahnextraktion  eines   Einzelzahns in einem Kiefer kann der Platzerhalt mittels festsitzenden Lückenhalters und regelmäßigem Recall gewährleistet werden, sodass keine Spätfolgen wie zum Beispiel ein Platzmangel im bleibenden Gebiss entstehen. Besonders wichtig ist dies bei frühzeitiger Entfernung eines zweiten Milchmolaren vor Durchbruch des ersten permanenten Molaren (festsitzender Lückenhalter mit sogenanntem „distal shoe“).

Kontakt

Mhd Said Mourad

Zahnarzt


Universitätsmedizin Greifswald
Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde

Mahmoud K. Faheem

Zahnarzt


Universitätsmedizin Greifswald
Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde

Dr. Julian Schmoeckel

Zahnarzt


Universitätsmedizin Greifswald
Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde
Walther-Rathenau-Straße 42
17475 Greifswald

Tel: +49 3834 86 71 36

Email: julian.schmoeckel@uni-greifswald.de

http://www.dental.uni-greifswald.de

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