Zur Person
- Matthias L.
- 56 Jahre
- Bis 1994 professioneller Tänzer eines großen Konzerthauses
- Seit 1997 Physiotherapeut, Pilatestrainer und Tanztherapeut
- Saisonale Aktivitäten (Wandern), ein- bis zweimal die Woche gezieltes Kraftausdauertraining der Rumpf- und Beinmuskulatur
Orthopädischer Befund
- Fortgeschrittene Coxarthrose links, initiale Coxarthrose rechts
Ärztliche Verordnung
- Sechs Mal manuelle Therapie für das linke Hüftgelenk
Behandlungszeitraum
- 10. Oktober 2016 bis 28. Oktober 2016
- zweimal die Woche
Subjektiver Befund/ Anamnese
- Akute Ischialgie August/ September 2016, aktuell ohne Beschwerden
- „Antrittsschmerz“ in der linken Hüfte, also initialer Bewegungsschmerz nach längerem Sitzen oder Liegen
- Schmerzen im Bereich der linken Maxilla
Zahnstatus
- 18, 26, 28,36, 38, 48 extrahiert
Objektiver Befund
Orientierende Untersuchung
- Härteres Auftrittsgeräusch beim Gehen links mit eingeschränkter Hüft Extension, mangelhafter Oberkörper-rotation und vermindertem Armschwung linksVerstärkte Bein Außenrotation beidseits, links > rechts
- Haltungsschwäche mit verstärken Wirbelsäulenschwingungen (verstärkte LWS Lordose verstärkte BWS Kyphose verstärkte HWS Lordose) (Abb. 1)
- Kopfvorhalte mit Extension
- „Fliehendes“, retrudiertes Kinn
- Spannungszeichen auf positives Kapselmuster linkes Hüftgelenk, positives Patrick- Kubis- Zeichen links
- Positive zum Teil auch schmerzhafte Spannungspalpation lumbal links, obere Thoraxapertur links, im Bereich der Kaumuskulatur und Maxilla links
- Eingeschränkte Innenrotation und Extension linkes Hüftgelenk, Extension BWS, HWS Retroflexion > Ante-flexion, Laterotrusion der Mandibula nach rechts
- Regelrechte Mundöffnung (> 40 mm)
- Deviation nach links bei Mundöffnung ohne Knackphänomen
Gezielte Untersuchung
- Hüftgelenksblockierung mit positivem Kapselmuster links
- Blockierung SIG links
- Extensionsstörung Th 6 bis 8
- Gelenkfunktionsstörung CTÜ links
- Retroflexionsstörung O/C1 und Rotation links
- Seitneigestörung C1/2 links
- Gelenkfunktionsstörung TMG links mit positivem Belastungsvektor nach anteromedial
- Bewegungseinschränkung (im kraniosakralen Sinn als Spannungspalpation) der Außenrotation von Maxilla und Os zygomaticum mit Restriktion der Sutura frontomaxillaris, Sutura sphenopalatina, Sutura zygomatico-maxillaris und Sutura temporozygomatica links
- TrP M. iliopsoas, M. glutaeus medius et minimus, M. temporalis (anteriorer Anteil), M. pterygoideus lateralis und M. masseter links
- Verspannung/Verkürzung M. iliopsoas, M. tensor fascie latae mit Tractus iliotibialis, lumbaler M. erector spinae, M. quadratus lumborum und M. trapezius pars deszendenz links
- Verspannung/Verkürzung M. sternoclaidomastoideus und Mm. suboccipitales rechts
Wertung
Im täglichen Praxisalltag finden sich regelmäßig Patienten mit einer Vielzahl von Auffälligkeiten und Befunden. Die wesentliche Frage ist, in wie weit diese miteinander korrelieren. Einfache Tests auf Verkettung können hier schnell Antwort geben.
In diesem Fall führte ich den Innenrotationstest der Hüftgelenke durch, mit eindeutiger Bewegungseinschränkung der linken Hüfte (Abb. 2). Nun bat ich den Patienten zuzubeißen, mit dem Ergebnis des wiederum deutlich veränderten Bewegungsausmaßes bei der Wiederholung des Innenrotationstestes der linken Hüfte. Es ist nicht relevant, ob sich ein Befund verstärkt oder verbessert. Ein positiver Test auf Verkettung zeigt sich generell in dem veränderten Ausgangsbefund. Findet sich keine Veränderung zum eingangs durchgeführten Test, ist eine Verkettung der getesteten Regionen auszuschließen.
In diesem Fallbeispiel ist davon auszugehen, dass eine Verspannung der dorsalen Muskelkette aufsteigend vom arthrotischen Hüftgelenk für eine vermehrte Spannungszunahme im TMG-Bereich führt:
- Ausgangsbefund HG- Arthrose mit eingeschränkter HG Innenrotation und Extension, mit Verspannung M. iliopsoas führt
- Zu einer verstärkten LWS Lordose mit Verspannung der extendierenden lumbalen Muskulatur, dies führt wiederum
- Zu einer Ausgleichskrümmung der BWS und HWS im Sinne einer verstärkten Kyphosierung und Lordosierung mit Extension und Ventralisation des Kopfes dies hat zur Folge, dass
- Die Spannung der Nackenmuskulatur zu nimmt, und somit
- Die Spannungszunahme der Kaumuskulatur initiiert wird
Behandlung
- Gezielte Mobilisation Hüftgelenk und SIG links
- Segmentale Mobilisation Th 6 bis 8 und Kopfgelenke
- TrP-Behandlung/Relaxation M. iliopsoas, M. glutaeus medius et minimus, M. tensor fascie latae mit Tractus iliotibialis, lumbaler M. erector spinae, M. quadratus lumborum, M. trapezius pars deszendenz links, M. sternoclaidomastoideus und Mm. suboccipitales rechts bei gleichzeitiger Aktivierung der Antagonisten
Diese Behandlung führte zu einer deutlichen Schmerzlinderung im HG-Bereich, aber nur zu einer minimalen Befundverbesserung im TMG-Bereich.
Erweiterung der Behandlung
- Mit gezielter Mobilisation TMG (Abb. 3), Maxilla (Abb. 4) und Os zygomaticum
- TrP-Behandlung/ Relaxation M. temporalis (anteriorer Anteil), M. pterygoideus lateralis und M. masseter links
- Relaxation/ Mobilisation im kraniosakralen Sinne Sutura frontomaxillaris, Sutura sphenopalatina, Sutura zygomaticomaxillaris und Sutura temporozygomatica links
Nach nur einer Behandlungssitzung konnten die Befunde im TMG- Bereich vollständig aufgehoben werden.
Fazit
Das physiotherapeutische Behandlungsziel bei degenerativen Erkrankungen ist die Schmerzlinderung und Vermeidung von Progredienz auf andere Körperabschnitte. Finden sich wie im geschilderten Fall tatsächlich Verkettungen, müssen diese daher zwingend behandelt werden. Durch die beschriebene Verspannung der dorsalen Muskelkette ist davon auszugehen, dass die Befunde und Beschwerden im TMG-Bereich rezidivieren, da die Coxarthrose in diesem Sinne nicht heilbar ist. Hier können Sie als Zahnärztinnen und Zahnärzte ihren Patienten durch eine entsprechende passive (zum Beispiel „Schiene“) oder aktive (Manuelle Therapie) Entspannungstherapie deutlich Erleichterung verschaffen sowie die Folge degenerativer (im pathologischen Sinn) Prozesse verhindern und in Zusammenarbeit mit ihrer physiotherapeutischen Praxis unklare Schmerzbefunde im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich erfolgreich behandeln.