Bis zu diesem Zeitpunkt bestand meine gesamte zahnmedizinische Welt, mit Ausnahme von Knochenblöcken und körpereigenen Knochenspänen, entweder aus synthetischen oder alloplastischen Materialien, die oft klinisch mit Kompromissen und Problemen behaftet waren. Der englischsprachige Artikel beschäftigte sich mit dem sogenannten Smart Grinder-Konzept. Dabei handelt es sich um ein Produkt der israelischamerikanischen Firma KometaBio Tissue Engeneerigund wurde maßgeblich von Prof. Itzhak Binderman entwickelt (Universität Tel Aviv, Israel). Retrospektiv gibt es eine fünfjährige Erfahrungsgrundlage, wobei das Prinzip der Nutzung von Dentin als Medium der Osseoregeneration bereits 1967 beschrieben wurde. 1
Vom Aufbau ähnelt das Gerät optisch einer hochwertigen Kaffeemühle modernen Designs. Die Basiseinheit bildet ein Elektromotor mit einer integrierten Vibrationsplatte. Dieser Einheit lässt sich eine Kammer aufsetzen, welche ein nicht zu sterilisierendes Einmalprodukt ist. Die Kammern sind in mehrere Kompartimente unterteilt. Das größte ist die mit einer Plexiglashaube zu schließende Hauptkammer, in welcher der Zahn eingelegt und mittels Mühlwerk zerkleinert wird. Bei Aktivierung der Vibrationsfunktion fällt das Partikulat durch ein erstes Sieb, so dass nur Partikel einer definierten Größe von 300 bis 1.200 μm die Hauptkammer verlassen können. Verbleiben größere Partikel in der Hauptkammer, so kann die Partikulierung beliebig oft wiederholt werden, bis alle Zahnanteile die Hauptkammer verlassen haben. Diese gelangen über eine kurze Fallstrecke in die erste Auffangkammer, welche wiederum ein Sieb von 300 μm im Boden aufweist. Durch aktivierte Vibration werden somit Partikel, die sich wissenschaftlich als zu klein erwiesen haben, in einem Abfallcontainer separiert.
Das Aufarbeitungsprotokoll beinhaltet vier einfache Schritte, bestehend aus Extraktion, mechanischer Reinigung, Partikulierung und chemischer Reinigung: Die Extraktion erfolgt nach den Regeln der Minimalinvasivität und sollte chirurgisch, idealerweise ohne Hebel, mit Bedacht auf die vestibuläre Lamelle erfolgen. Anders als bisher muss bei Osteotomien jedoch ebenfalls Wert auf den Substanzerhalt des Zahnes gelegt wer den. Grundsätzlich werden alle extrahierten Zahnbruchstücke (Wurzel und Überreste der klinischen Krone) dem Smart-Grinder-Verfahren zugeführt, nachdem diese mechanisch mittels Diamanten von allen Unreinheiten wie Füllungen, Zementen, Karies und Konkrementen entfernt wurden. Als besonders wichtig hat sich die penible Trocknung der Fragmente erwiesen, da Feuchtigkeit den Prozess des Partikulierens erheblich negativ beeinflussen kann.
Der zeitliche Aufwand beträgt insgesamt circa 15 Minuten und erzeugt ein stets größeres Volumen als das des zugrunde liegenden Zahnes. Nach eingehender Schulung ist der gesamte Prozess der Aufarbeitung des Materials delegationsfähig.
Step by Step: von einem extrahierten Zahn zu einem autogenen partikulären Dentin
Das Smart Dentin Grinder (SDG)-Verfahren bietet eine effiziente Methode zur Umwandlung eines extrahierten Zahnes in partikuläres Dentin, welches sofort für die Augmentation in der Extraktionsalveole oder als Knochenersatzmaterial für andere Knochenaugmentationsverfahren verwendet werden kann.
Schritt 1: mechanische Reinigung der Zahn-/Wurzeloberfläche
Der extrahierte Zahn ist in der Regel mit einem Biofilm aus Bakterien, Toxinen und Weichgewebe wie dem verbleibenden Parodontalligament auf seiner Wurzeloberfläche bedeckt. Darüber hinaus enthält die Zahnkrone in vielen Fällen Fremdmaterialien wie Zemente, Füllungsmaterialien und verbleibende Keramikanteile. In einigen Fällen ist der Wurzelkanal mit Bakterien infiziert. Nach der Extraktion sollten alle Fremdmaterialien einschließlich Polymer-, Zement-, Metall-, Keramik- und Wurzelkanalfüllungsmaterialien gründlich mechanisch mit einem Bohrer oder einem Piezoinstrument entfernt werden. Dies dauert in der Regel nur ein bis drei Minuten und wird typischerweise vom Zahnarzt oder seiner Assistenz durchgeführt. Nach mechanischer Reinigung verbleibt eine saubere Oberfläche die hauptsächlich aus Dentin bestehen sollte.
Schritt 2: Trocknung
Trocknen Sie den sauberen Zahn gründlich bevor Sie ihn in die sterile Kammer legen. Dies erfolgt am besten unter der Zuhilfenahme der Pressluft der Behandlungseinheit. Sollte der Zahn nicht suffizient getrocknet sein, kann es zu Verklumpung in der Kammer führen, was eine Wiederholung des folgenden dritten Schrittes zur Folge hat.
Schritt 3: Partikulieren des Zahnes
Eine speziell entwickelte Einwegkammer (Mahlkammer) wird am Smart Dentin Grinder mittels Verriegelung angebracht. Diese Schleifkammer verarbeitet den Zahn prozesssicher und effizient, so dass innerhalb von 30 Sekunden Zahnpartikel in zwei Standardgrößen entstehen. Dieser Vorgang kann beliebig oft wiederholt werden, sollten große Zahnfragmente in der Mahlkammer verbleiben. In der Regel können bis zu zwei bis drei Zähne gleichzeitig partikuliert werden. Etwa 90 Prozent der entstehenden Partikel werden im oberen Auffangbehältnis gesammelt, die Teil der Mahlkammer ist.
In dieser oberen „Schublade“ werden Fragmente mit einer Partikelgröße von 300 bis 1.200 μm gesammelt. Dieser Größen bereich gilt als optimal für das Erreichen einer osteogenen Wechselwirkung. Kleinere Teilchen werden in einer separaten unteren Schublade gesammelt. Partikel, die kleiner als 300 μm sind, resorbieren typischerweise viel schneller, können aber bei Bedarf verwendet werden.
Schritt 4: Chemische Reinigung der Dentinpartikel
Nach dem Partikulieren des Zahnes werden die Dentinpartikel in einen sterilen Glasbehälter überführt. Ein chemischer Reiniger, der aus 0,5 mol NaOH und 20 Prozent Ethanol besteht, wird verwendet, um die gesamte Oberfläche zu bedecken. Hierbei wird sanftes Schütteln empfohlen, um der Reinigungslösung zu helfen, die Partikel zu benetzen und in die Dentinkanälchen einzudringen. Der Reiniger ist sehr effektiv und löst alle organischen Materialien wie zum Beispiel Bakterien, Endotoxine und Viren. Dabei dringt er nachweislich effizient in die Dentinkanälchen ein.
Nach 10 Minuten wird das Reinigungsmittel entfernt. Dies geschieht, indem die Flüssigkeit mit einem sterilen Tupfer aufgesogen wird. Anschließend wird eine Phosphatpuffer-Salzlösung (PBS) für 3 Minuten in den Glasbehälter gegeben. Die PBS wäscht die Reinigungsmittelreste aus und bringt den pH Wert auf ein physiologisches Maß von 7,2 zurück. Danach wird die PBS mit einem sterilen Tupfer analog zum vorangegangenen Schritt absorbiert und das leicht feuchte Material ist sofort gebrauchsfertig.
Schritt 5: Applikation des Dentin Grafts/Nutzung
Sobald die Reinigung abgeschlossen ist, ist das Knochenersatz material bereit, sofort verwendet zu werden. Das resultierende Ergebnis hat eine klebrige Konsistenz mit sehr guten Handhabungseigenschaften für die Augmentation. Die Verwendung erfolgt analog anderer partikulierter Ersatzmaterialien
Schritt 6: Entsorgung der Mahlkammer/ Mitgabe nicht verwendeten Materials
Die Mahlkammer ist ein steriles patientenbezogenes Einmalprodukt. Daher ist ihre Nutzung bei anderen Patienten nicht möglich. Jedoch ist die Mitgabe der beschrifteten Kammer mit nicht verwendetem Material empfehlenswert, da dieses zu einem späteren Zeitpunkt, nach erneuter chemischer Reinigung, uneingeschränkt wiederverwendet werden kann.
Klinische Anwendung
Die Anwendung eines autologen Materials in partikulierter Form entspricht demselben Anwendungsspektrum anderer partikulierter Materialien, so dass dies in Indikationen wie der gesteuerten Knochenregeneration, dem Sinuslift oder der Therapie parodontaler Defekte genutzt werden kann. Die Partikel besitzen nach dem Aufarbeitungsprozess eine gewisse Adhäsivität, so dass sich das Produkt gut verarbeiten lässt, an den Instrumenten haftet und eine gewisse Ortständigkeit beim Einbringen ermöglicht. Sie bieten ferner den Vorteil, dass im Gegensatz zu einem autologen Knochenblock nur geringe Komorbiditäten bei der Entnahme entstehen und kein weiterer OP-Situs eröffnet werden muss. Gleichzeitig ist das Verfahren selbstverständlich auf die Nutzung des eigenen Zahnes beschränkt, wobei jeder Zahn unabhängig seines Extraktionszeitpunktes zeitlebens genutzt werden kann. Sollte nicht das gesamte Material verbraucht werden, so kann dies dem Patienten wie bereits zuvor beschrieben mitgegeben werden. Bei erneuter Nutzung muss dann erneut der Reinigungsprozess durchlaufen werden. Auch die Mitgabe der genutzten Kammer ist zu empfehlen.
Klinisches Beispiel (operiert durch Dr. Reza Abedian, Heidelberg)
Im November 2018 stellte sich eine 53jährige Patientin bei uns mit der Bitte um eine prothetische Neuversorgung ihres Oberkiefers vor. Ihr Wunsch war es, innerhalb eines Tages mit festsitzendem Zahnersatz versorgt zu werden. Die allgemeine Anamnese ergab keine auffälligen Befunde. Die spezielle Anamnese zeigte, dass der Behandlungswunsch durch einen parodontal maximal kompromittierten Oberkiefer ausgelöst wurde. So war bei der Patientin vor circa 15 Jahren eine Wurzelspitzenresektion am Zahn 21 durchgeführt wurden, der jetzt radiologisch einen großvolumigen Knochendefekt vermuten ließ. Im Bereich 14, 24 stellte sich ein konkaver Knochen dar, welcher gleichsam des Defektes in regio 15 augmentiert werden sollte. Da die Patientin wünschte, dass nur körpereigenes Material bei notwendigen Augmentationsmaß nahmen verwendet werden sollte, war vorgesehen die extra hierten Zähne als Quelle für ein Ersatzmaterial zu verwenden.
Chirurgisches Vorgehen
Die Zähne 15, 13, 12, 11, 21, 22, 23 und 24 wurden minimalinvasiv entfernt, mechanisch gereinigt und radiologisch auf Verunreinigungen überprüft. Es erfolgte die Aufarbeitung nach dem oben beschriebenen Smart Grinder-Protokoll. Nach der Extraktion wurden die Extraktionsalveolen mit BlueLase-Säure konditioniert und gelasert. Bei der Mobilisierung eines vollschichtigen Mucoperiostlappens von 17 bis 27 zeigte sich der vermutete Knochendefekt in regio 21 als vestibuläre Fenestrierung mit starker weichgewebiger Verwucherung. Diese wurde entfernt und mittels der gewonnenen Partikel aus den extrahierten Zähnen augmentiert. Darüber hinaus erfolgte die Implantation von sechs Bredent SKY-Implantaten nach dem SKY fast & fixed-Prinzip. Da das Implantat 22 nur eine geringe Primärstabilität zeigte, wurde dies nicht in die sofortige provisorische Versorgung mit aufgenommen, welche noch am selben Tag erfolgte. Eine postoperative Kontrolle am Folgetag und die Nahtentfernung nach zehn Tagen zeigten keine post operativen Komplikationen.
1 Yeomans JD, Urist MR. Bone induction by decalcified dentine implanted into oral, osseous and muscle tissues. Arch Oral Biol 1967;12:999-1008